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Wem nutzt die Modernisierungsblockade der Bundesregierung?

Warum möchte Wirtschaftsministerin Reiche Gaskraftwerke bauen und warum viel zu viele? Es geht nicht nur um sauberen und günstigen Strom. Es geht um die Haltung der Bundesregierung zu den Bürgerinnen und Bürgern und zur Zukunft.

 

Wir erleben einen reaktionären Energie-Backlash. Klimaschutzmaßnahmen werden unbegründet verzögert und – wer hat sie um diese sinnbefreite Maßnahme gebeten? – die sterbenden fossilen Industrien zu stützen (besser gesagt: ihnen beim Sterben zuzusehen). Ein weiterer Grund für Reiches reaktionäre Energiepolitik: den Wählerinnen und Wählern soll mit diesem unkoordinierten Aufschub des Notwendigen signalisiert werden, dass man an sie denkt und ihnen nicht zu viel Veränderung zumuten möchte. Das ist verdruckster, verklemmter Populismus, der vor der AfD zittert und so vergeblich versucht, die demokratische Mitte zu halten.

 

Bislang nutzt das nur den Rechtsradikalen.

 

Selbst ein Kohleland wie Australien denkt fortschrittlicher

 

In anderen Ländern bewegt sich die Politik schneller in die Zukunft. Australien - das eine lange Geschichte der Naturzerstörung durch den Kohlebergbau hat – erzeugt 13 Prozent des günstigen und erneuerbaren Stroms mit Solardächern. Die epochale Erfolgsgeschichte der Solarenergie, ohne die wir keine Chance gegen den Klimawandel hätten, hat in Australien kluge Geschäftsmodelle entstehen lassen, mutige Unternehmer auf den Plan gerufen und ist dabei, die Gesellschaft grundlegend zu modernisieren. 

 

Die Killer-Applikation dabei: Solarenergie gekoppelt mit Batteriespeichern. Amber Electric, ein visionäres Unternehmen Down Under eröffnet seinen 58.000 Kunden direkten Zugang zum australischen Stromhandel. Branchenschätzungen zufolge können Haushalte in Australien durch Solaranlagen auf Hausdächern bis zu 1.500 Australische Dollar pro Jahr an Energiekosten einsparen. Und dieser Betrag verdoppelt sich, wenn man einen Batteriespeicher hinzufügt, und steigt bei dynamischer Preisgestaltung noch einmal an.

 

Amber revolutioniert mit dynamischen Strompreisen den Energiemarkt

 

Momentan gewinnt Amber monatlich 5.000 Kunden hinzu (Dependancen in Europa sind in Planung). Warum verschließen sich die Konservativen (und viele der regierenden Sozis auch!) davor, in das partizipative Projekt einer postfossilen Marktwirtschaft zu investieren?

 

Aber sind die Vorabkosten für Solar + Speicher nicht immer noch zu hoch? In Australien bieten Bau- und Heimwerkerläden mittlerweile Finanzierungspläne an, mit denen man Solaranlagen und Batteriespeichersysteme in monatlichen Raten von unter 150 Australischen Dollar finanziert statt sie über hohe Anfangsinvestition zu erwerben. Ein kleiner Haken bleibt: die nervösen Großhandelspreise für Strom. Doch auch daran hat Amber gedacht. Gigantische Stromrechnungen, die beispielsweise Nutzer von flexiblen Strompreisen 2021 in Texas während eines Unwetters verärgerten, verhindert Amber durch eine Höchstpreisgarantie. 

 

Die Energiewende ist ein einzigartiges Modernisierungsprojekt

 

Ja, erneuerbare Energien sind Freiheits- und Unabhängigkeitsenergien – ihre gesellschaftlichen Modernisierungseffekte sind enorm. Würde Frau Reiche in der beschriebenen Art und Weise die Deutschen an der Stromproduktion beteiligen, bräuchten wir deutlich weniger Gaskraftwerke (Energiespeicher brauchen keine Subventionen, Gaskraftwerke schon) und die Bevölkerung hätte das Gefühl, Teil eines gesellschaftlichen Aufbruchs zu sein, was angesichts der Umfrageergebnisse ja nichts so schlecht wäre (und eigentlich im Sinne aller Christdemokraten sein sollte). 

 

Wenn es bei der mutlosen CDU-Politik wirklich um die Bekämpfung der Rechtspopulisten ginge – warum erklären Merz und Reiche dann nicht am Beispiel dieser Technologie (und vieler anderer Innovationen), dass Erneuerbare den Strompreis gerade nicht heben, sondern senken?!

 

Offensichtlich handelt es sich bei Reiches Energiepolitik nicht nur um eine fortschrittsfeindliche, an fossile Lobbyinteressen verkaufte Strategie. Sie ist Bestandteil eines antimodernen Ökosystems der Klimaschutzsabotage, zu dem konservative Energieversorger, die Automobilindustrie und der Axel Springer Konzern gehören. Ein äußerst effizientes Ökosystem, dass die Wärmewende zerschoss, einen hochangesehenen Klimaökonomen wie Patrick Graichen verunglimpfte und das Ende der Ampelkoalition einläutete.    

 

Klientelpolitik hierzulande – grüne Marktwirtschaft in Down Under

 

Australiens Regierung lässt sich nicht von einem solchen reaktionären Ökosystem das Regieren vorschreiben. Das befreit das Denken und hat dazu geführt, in Australien einen erstaunlichen Solar + Speicher-Boom auszulösen. 

 

Schade, Deutschland. Wieder nur Zuschauer beim Aufbruch in die Zukunft? Vielleicht regelt es der Markt demnächst tatsächlich einmal selbst. Mit visionären Unternehmen wie Tibber, Octopus Energy (UK) und Rabot Charge (Hamburg) befinden sich Akteure im deutschen Energiemarkt, die verstanden haben, wie Zukunft geht. Leider kein Zufall, dass Tibber kein deutsches Unternehmen ist, sondern 2016 aus Norwegen kommend nach Schweden, den Niederlanden und Deutschland expandierte und sich über mehr als eine Million Kunden freut. In Deutschland ist der Marktanteil von Unternehmen wie Tibber, Octopus Energy und Rabot Charge an Solar + Speicher von 0,1 Prozent im Jahr 2023 auf 2,4 Prozent im Jahr 2025 gestiegen. 

 

Alle drei Unternehmen machen sich den dynamischen Strompreis zunutze. Bei diesem strombörsenbasierten Preismodell ändert sich der Stromtarif stündlich oder viertelstündlich. Um den Strom aus erneuerbaren Energien zu nutzen, braucht es zunächst einen intelligenten Stromzähler (Smart Meter). Die Preisgestaltung ist transparent, die Nutzung erneuerbarer Energien werden damit  gefördert, weil Strom dann genutzt werden kann, wenn er am günstigsten ist (nachts oder bei viel Sonne und Wind). 

 

Fazit

 

Also alles keine Raketenwissenschaften. Deshalb nochmal zurück zur Ausgangsfrage: Warum der energiepolitische Backlash? Weil die Merz-Regierung versucht, die Akteure der fossilen Industrien im Spiel zu halten. Das ist Klientelpolitik par excellence – für die Wählerinnen und Wähler wird das Leben dadurch keinen Deut besser oder sicherer. Im Gegenteil. Währenddessen lügt und betrügt sich die AfD zur Stimme der Enttäuschten, weil unsere visionslose Regierung einen Modernisierungsaufbruch blockiert. 

 

Was wirklich frustriert: Der Energiesektor ist dabei nur ein Beispiel (Bau?, Wärme?, Mobilität?, Landwirtschaft?). Das Signal weist weit darüber hinaus, es macht den Zukunftsstau im Land so erschreckend spürbar. Die Gewissheit: Auch diese reaktionäre Politik wird den Trend zu den Erneuerbaren nicht brechen. 

 

 

Weitere Trends und Themen

1. Lob des Analogen: In den Trump-USA haben die Verkaufszahlen gedruckter Bücher in den letzten zehn Jahren gegenüber digitalen Alternativen nicht nachgelassen und halten laut dem Verband amerikanischer Verleger immer noch 80 Prozent des Marktes. 

 

2. Der Spindoctor, der MAGA auf die Zeit nach Trump vorbereitet: Chris Buskirk rückte die Tech-Elite ins Zentrum der Macht in Trumps Washington. Seine Bemühungen basieren auf einer umstrittenen Theorie – eine „Aristokratie“ sei nötig, um das Land voranzubringen. 

 

3. Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zieht die Notbremse: Die DFG hat eine Initiative zum Sichern gefährdeter Datenbestände gestartet. Es geht um Forschungsergebnisse, die auf ausländischen Cloud-Speichern lagern. Der Aufruf zum Heimholen wichtiger Forschungsdaten aus dem Ausland ist eine Reaktion auf die zunehmende Abhängigkeit der deutschen und europäischen Wissenschaft von nicht-europäischen Tech-Konzernen vor allem aus den USA wie Amazon, Google und Microsoft. Eine wichtige Rolle dabei soll die European Open Science Cloud (EOSC) spielen. 

 

4. Sklavenarbeit für den Siegeszug der humanoiden Robotik: In einer indischen Stadt falten Arbeiter Handtücher, während sie Kameras tragen. Die so gewonnenen Daten dienen dazu, KI-Robotern beizubringen, wie sie sich in realen Räumen bewegen und agieren sollen. 

 

5. Coca-Cola scheitert auch in diesem Jahr mit seinem KI-Weihnachtsspot: Coca-Cola setzt erneut auf generative KI, um seine klassischen Coke-Werbespots neu zu interpretieren – und trübt damit die festliche Stimmung. Nachdem das Unternehmen letztes Jahr für drei KI-generierte Weihnachtsspots mit gleitenden Rädern und unheimlich wirkenden Gesichtern Kritik einstecken musste, legt es mit einer neuen KI-Weihnachtskampagne nach, die ästhetisch noch verstörender ist als die erste.