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Wie Energiewende und demographischer Wandel die Zukunft von EU und USA bestimmen

Die Energiewende und der demographische Wandel - zwei einflussreiche Megatrends - treffen in vielen Teilen unserer Welt gerade mit großer Wucht aufeinander - und könnten zu einer entscheidenden Lösung für den Fachkräftemangel beitragen. 

 

Deutschland altert rapide. In den kommenden Jahren wird die Boomer-Generation ihre Arbeitsplätze räumen. 70 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der bundesdeutschen Energieversorgungsunternehmen gehen in den nächsten zehn bis 15 Jahren in den Ruhestand. Gleichzeitig läuft die Energiewende auf Hochdruck. Doch 61 Prozent der Unternehmen (hierzulande sogar 75 Prozent!) in der EU geben an, dass der Fachkräftemange zum entscheidenden Investitionshemmnis avanciert. Der Druck nimmt auch dadurch zu, dass mit dem Rückenwind der Energiewende ein regelrechter Innovationsboom bei den grünen Jobs zu erwarten ist. Laut einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) unter 744 deutschen Unternehmen aus dem Frühjahr 2022 geht jeder fünfte Betrieb davon aus, dass im Cleantech-Sektor komplett neue Jobprofile entstehen werden.

 

Viele Jobs bekommen angesichts der Energiewende eine höhere Wertigkeit

 

Von den Handwerksbetrieben über Stadtwerke bis hin zum großen Energieversorger, überall fehlen qualifizierte Mitarbeiter. Der BDEW geht davon aus, dass bis 2030 der Um- und Ausbau der Energieerzeugung, der Netze und der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft Investitionen in Höhe von insgesamt 600 Milliarden Euro auslösen werden – wenn bis dahin ausreichend Fachkräfte zur Verfügung stehen. Allein auf dem Sektor der Energiewende entsteht bis 2035 ein Bedarf von 760.000 Arbeitskräften. Dachdecker und Photovoltaikmonteure gehören zu den Berufen mit Zukunft. Elektriker mit Energiewende-Kompetenz werden händeringend gesucht. Das IW hat beobachtet, dass zwischen 2019 und 2022 die Online-Stellengesuche in den Branchen Wind und Solar um 91 Prozent angestiegen sind. Der baden-württembergische Energieversorger EnBW wird bis 2026 knapp 10.000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen. Auch die Wasserwirtschaft, die gerade zur Kreislaufwirtschaft mutiert, sucht verzweifelt Personal. 

 

In den USA klagen neun von zehn Solarunternehmen über erhebliche Schwierigkeiten, qualifizierte Arbeitskräfte für neue Installationen zu gewinnen. Schon jetzt fehlen in den Vereinigten Staaten 80.000 Elektriker, und bis zum Ende des Jahrzehnts werden rund eine Million neue gebraucht. Die Windturbinenindustrie, der Batteriesektor für Elektrofahrzeuge und andere Industrien sind alle mit einem steigenden Bedarf an Arbeitskräften konfrontiert.

 

In Deutschland und den USA könnte der Fachkräftemangel, insbesondere auf dem Gebiet technischer und handwerklicher Tätigkeiten, die Energiewende gefährden. Estland beispielsweise hat darauf schnell mit der Anpassung von Studiums- und Ausbildungsprofilen reagiert.  

 

Für die USA prognostiziert eine Studie, dass ohne sofortige arbeitsmarktpolitische Eingriffe bis zum Ende des Jahrzehnts mit einer Lücke bei den Cleantech-Expert:innen von sieben Millionen zu rechnen sei. Wie nicht anders zu erwarten, wird all das von konservativer Seite und in Reihen der Klimaleugner massiv angezweifelt. Schließlich herrscht ja Kulturkampf ("Alles lässt sich politisch instrumentalisieren"), und die Energiewende steht im Zentrum der Grundsatzstreitereien zwischen Demokraten und Republikanern. Und während von progressiver Seite mittlerweile sogar das Konzept eines „Energie-Visa“ ins Spiel gebracht wird, beschwören die Konservativen die Gefahr der Verdrängung „amerikanischer Arbeitskräfte“ vom einheimischen Arbeitsmarkt. Wirtschaftsdaten belegen indes, dass eine solche „kompetenzbasierte Einwanderung“ das Wachstum speziell in wirtschaftlich stagnierenden Landesteilen ankurbeln würde.

 

Wie die Energiewende Fachkräfte- und Demographieprobleme löst

 

Die Energiewende dient hier als Modernisierungsprogramm. In den wirtschaftlich am stärksten benachteiligten Regionen der USA sind die Probleme des Bevölkerungsrückgangs am schlimmsten. Energie-Visa würden nicht nur dazu beitragen, die günstige und saubere Energie auf nationaler Ebene voranzutreiben, sondern können auch für wirtschaftliche Modernisierung an den Orten sorgen, die sie am meisten benötigen. Laut einer Studie des US-Finanzministeriums gehen nämlich schon jetzt 86% der sauberen Investitionsgelder in Landkreise mit unterdurchschnittlichen Hochschulabschlussquoten. Ob Trump noch einmal mit Klimaleugnung Wahlkampf machen wird, ist fraglich. Zu sehr hat sich die Energiewende in den USA als Zukunftsprojekt etabliert. Viele rote Bundesstaaten profitieren von der Energiewende. Republikaner-Hochburgen wie Texas, Iowa oder Oklahoma gehören längst zu den Marktführern auf dem Gebiet der Windenergie.

 

Wie wird Deutschland demographisch im Jahr 2050 aussehen? Auch hierzulande ist die Energiewende das zentrale Zukunftsprojekt, mit dessen Hilfe das Demographiebeben und der Strukturwandel gesteuert werden können. Gerade in Regionen, die von der Alterung der Bevölkerung besonders betroffen sind, wird die Energiewende für Modernisierungseffekte sorgen, da sie neue Kompetenzfelder und junge Arbeitskräfte in die Region bringt (siehe u.a. Beispiele aus dem Hunsrück, aus dem bayerischen Oberland und den (Ex-)Kohleregionen in Ost- und Westdeutschland). In den USA träumen Experten bereits von den dekarbonisierten Vereinigten Staaten, in denen dann eine Milliarde Menschen friedlich zusammenleben. Ist so etwas überhaupt vorstellbar? Warum nicht, die Bevölkerungsdichte in den USA würde dann einem Land wie Frankreich ähneln.