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Zwischen Transformationsmüdigkeit und Widerstandsgeist: Wie es innen- und außenpolitisch weitergeht

Die Corona-Pandemie und das Russland-Erdgas-Desaster haben uns gelehrt, dass die Zeiten des Delegierens, des Verantwortungs-Outsourcings und der gekauften Zeit  endgültig vorbei sind. Im kommenden November könnte Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt werden. Beispielsweise die Außen- und Rüstungspolitik den Vereinigten Staaten zu überlassen und die schmutzige Produktion in Schwellenländer zu verlagern, das ist kein zukunftsfähiges Konzept.

 

Wir müssen unseren Debatten über die kommenden Jahre eine stärker außenpolitische Ausrichtung geben. Ökonomen müssen zusammen mit Sicherheits- und auch Militärexperten eine neue Informationslage schaffen.  

 

Wir sollten unser Exportmodell überdenken, weil es offensichtliche Abhängigkeiten mit hohen Risiken geschaffen hat. Jetzt ist es höchste Zeit, in eigene Abwehrkräfte und die sozial-ökologische Modernisierung im Inneren zu investieren. 

 

Deglobalisierungsforderungen und Deindustrialisierungsängste bleiben trotzdem abstruse Phantasmen. Seit ziemlich genau einem Jahr fließt praktisch kein Erdgas mehr aus Russland nach Deutschland. Wir stellen fest, dass die deutsche Wirtschaft nicht zusammengebrochen ist. Wo sind die apokalyptischen Kaskadeneffekte als Resultat des russischen Gasembargos, die die deutsche Wirtschaft in den Abgrund ziehen sollten? Sie fanden nicht statt.  

 

Wir müssen überlegen, wie der Staat besser als Innovationsförderer auftreten kann, damit früher auf technologische Disruptionen (Stichwort KI) reagiert werden kann. Hierzulande entwickelt gerade ein Lebensmittel-Discounter wie Lidl Technologieführerschaft. Lidl macht das erstaunlich gut. Aber es zeigt auch, dass wir spät dran sind. Es braucht ein neues Gespräch zwischen Unternehmen, Forschung und Politik. Voraussetzung wäre: Je klarer die politischen Ziele artikuliert werden, umso präziser die Antworten aus Forschung und Business. Jetzt vorschnelle KI-Richtlinien in der EU zu verabschieden, nur um was...um erster zu sein, ist keine nachhaltige Maßnahme (siehe 2.).

 

Die Globalisierung hat uns in den vergangenen Jahren in der Ausnahmesituation der Pandemie handlungsfähig gehalten. Und wir treten jetzt in eine neue Phase der Globalisierung ein, bei der wir durch Diversifizierung und Offenheit unsere Widerstandsfähigkeit stärken können. Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft formuliert das so: „Der globale Handel hat eine Versicherungsfunktion, die für uns im letzten Jahr unglaublich wichtig war, weil wir amerikanisches Gas und energieintensive Produkte importieren konnten.“

 

Wir brauchen bessere Prognoseinstrumente. Wir müssen unsere persönlichen mentalen Infrastrukturen und die intellektuellen Infrastrukturen endlich besser auf die Zukunft ausrichten (vor allem dafür liefern wir Ihnen unseren monatlichen Newsletter)!

 

Der Blick nach innen verlangt von uns in diesem Jahr, dass wir erkennen, dass unsere Demokratie dringende renovierungsbedürftig ist. Wir dürfen nicht zulassen, dass das Gefühl eines umfassenden Resonanzverlustes resp. der gegenseitigen Entfremdung in der Gesellschaft überhandnimmt, wie es der Philosoph Hartmut Rosa beschreibt: die Politiker, die selbst immer mehr Resonanzverluste spüren, und die Transformationsmüden, die sich wütend im Kampf gegen staatliche Zumutungen und (eingebildete) Eliten aufreiben, statt neue Resonanzen in Form von Gemeinsinn, Solidarität und gegenseitiger Aufmerksamkeit zu erzeugen. 

 

Dass die Zivilgesellschaft aufgewacht ist und sich gegen den rechten Rand, der längst in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen ist, stemmt, ist ein kraftvolles Zeichen zur rechten Zeit. Es stellt die entscheidende Frage: Wie wollen wir in Zukunft leben? 

 

Bleiben Sie hellwach!

Ihr

Eike Wenzel