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Crispr CAS: Heilen statt therapieren

Die Genschere Crispr CAS macht das Horror-Szenario geklonter Menschen vorstellbar. Gleichzeitig könnte das Verfahren den Umgang mit seltenen Erbkrankheiten und Krebs revolutionieren. Schon in den kommenden Monaten werden erste Medikamente Marktreife erlangen. Sie lindern nicht nur das Leiden, sondern können schwere Defekte ein für alle Mal beseitigen.

 

2018, die Pandemie hat das in Vergessenheit geraten lassen, kamen in einem chinesischen Labor sogenannte Designer-Babys zur Welt. Ihre DNA wurde mittels der Genschere Crispr CAS manipuliert. Begründet wurde der Eingriff bei den Zwillingskindern damit, dass ihr Vater HIV-positiv war. Die weltweite Forschergemeinschaft verurteilte den Vorgang und der verantwortliche Forscher, He Jiankui, wurde zwischenzeitlich inhaftiert. Aber die Büchse der Pandora war damit geöffnet. Dieses Schauermärchen, das tatsächlich stattgefunden hat, lenkte lange Zeit davon ab, was die Genschere Crispr CAS tatsächlich zu leisten imstande ist. 

 

Mittels der Technik, den Genbestand des Menschen umzuorganisieren, ohne dabei fremdes Genmaterial einzuschleusen, könnten schon in naher Zukunft viele schwere Krankheiten, die auf Gendefekten beruhen, durch einen einmaligen Eingriff geheilt werden. Die Biochemikerin Jennifer Doudna und die Mikrobiologin Emmanuele Charpentier erhielten für die Erfindung der Genschere im Jahr 2020 den Chemie-Nobelpreis. Crispr CAS verspricht einfach, schnell und günstig zu produzierende Wirkstoffe, die in der Medizin eine komplett neue Generation an Medikamenten und in der Agrarchemie unter anderem klimaresistentes Saatgut hervorbringen könnten.

 

"Definitive Cure" könnte die Gesundheitssysteme um Milliarden entlasten

 

Auf dem 3. International Summit on Human Genome Editing Anfang März in London wies Doudna darauf hin, dass mittels Crispr CAS eine medizinische Revolution vor der Tür stehe, die es schon bald ermöglichen werde, eine schreckliche Krankheit wie die Sichelzellenanämie definitiv zu heilen (Definite Cure“). Seltenste Gendefekte, die mitunter nur bei einer Person weltweit diagnostiziert werden, so Doudna, seien ebenfalls mithilfe der Genschere heilbar. „Definite Cure“ bedeutet nichts weniger, als dass durch Crispr CAS viele Krankheiten – vor allem auch Krebserkrankungen – beim einzelnen Patienten komplett geheilt werden könnten und langwierige, leidensvolle Therapien wegfallen. 

 

Ein erstes Projekt, das erfolgreich eine Therapie gegen die Sichelzellenanämie entwickelt hat, geht auf das Bostoner Unternehmen Vertex Pharmaceuticals zurück. In London stellte Vertex mit Victoria Gray eine erste Patientin vor, die dank Crispr CAS von der Sichelzellenanämie geheilt wurde. Zurzeit werden mehr als 50 Forschungsprojekte gezählt, die „Defintive-Cure“-Medikamente für seltene Gendefekte und Krebserkrankungen entwickeln. Das Wettrennen um die nächste Wertschöpfungsstufe in der Medizin ist also in vollem Gange. Das Medikament von Vertex wird zurzeit an 75 Erkrankten in kontrollierten klinischen Studien erprobt. Laut Vertex sollte das heilende Präparat innerhalb der kommenden zwölf Monate in den Verkauf kommen.

 

An dieser Stelle drängen sich zwei entscheidende Fragen auf:

1. Was kostet das Medikament, beziehungsweise was werden Crispr-Medikamente künftig kosten, und

2. bei welche Erkrankungen wird die Crispr-Medizin in den kommenden Jahren verstärkt zum Einsatz kommen?

 

Im Jahr 2021 nahm das Forschungsunternehmen Bluebird Bio ein ähnliches Präparat für die gleiche Erkrankung in Europa vom Markt, da Regierungen und Krankenkassen nicht bereit waren, 1,8 Millionen Euro für das Medikament zu zahlen. Das Produkt von Vertex wird nicht signifikant günstiger sein. Vertex geht trotzdem davon aus, dass das Medikament in den Verkauf gehen wird und in Europa und den USA von 32.000 Menschen genutzt wird, die an schwerer Sichelzellenanämie leiden. 

 

Wie wird sich der revolutionäre Markt der Crispr-Medikamente weiterentwickeln? 

 

• Viele Präparate und Verfahren befinden sich erst in einem frühen Stadium der Entwicklung. Und es stellt sich die Frage, wer die Investitionen in heilende Präparate gegen seltene Erbkrankheiten trägt, die keinen größeren Markterfolg versprechen. In London wurde dagegen bereits von „Crispr CAS 2.0“, einer Weiterentwicklung der Genschere gesprochen, die noch schneller und noch günstiger Menschen von ihrem Leiden befreit. 

 

• Vor allem findet jedoch gerade bereits ein Wettrennen um bahnbrechende Krebspräparate statt. Hier liegt auf der Hand: Kommen die ersten Crispr-Medikamente auf den Markt, werden Pharmaindustrie und der gigantische Markt der Krebsforschung in den kommenden Jahren grundlegend neu strukturiert. 

 

Allerdings klingt das noch sehr forsch, denn zur Forschungsrealität bei Crispr CAS gehören nach wie vor auch Rückschläge. Anfang des Jahres musste Graphite Bio aus San Francisco die Studie einer Sichelzellen-Therapie stoppen, weil Patient*innen über Verträglichkeitsprobleme mit dem Präparat klagten. Sofort stürzte das Unternehmen an der Börse um 90 Prozent ab und wird den Fehlschlag wohl nicht überleben.