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Bringt TikTok das Ende des Internets, wie wir es kennen?

TikTok würde demnächst mit Sicherheit den anderen sozialen Medien den Rang ablaufen - wenn der Dienst nicht vorher von den USA verboten wird. Keiner weiß, was die chinesische Fun-Plattform mit den Personendaten anfängt. Die Kinderzimmer-App avanciert zum Sinnbild für die sich verändernde Weltordnung (nicht nur im Netz).

 

Ist TikTok nur für die Jungen? Gerade einmal fünf Jahre nach seiner Gründung ist das soziale Medium aus China bei einer Milliarde monatlichen Nutzern angekommen (trotz des Verbots in Indien, dem in einigen Jahren bevölkerungsreichsten Land der Erde). Und während Facebook/Meta angesichts der Inflation und abstürzenden Online-Werbeeinnahmen und Auseinandersetzungen mit den US-Aufsichtsbehörden immer stärker unter Druck gerät, können wir von TikTok lernen, wie man das scheinbar unmögliche erreicht, nämlich Meta Konkurrenz zu machen. Worin TikTok Meta mittlerweile überflügelt hat, ist die Aufenthaltsdauer der Nutzer auf der Plattform. TikTok überflügelte dabei Wettbewerber wie WhatsApp und Instagram bereits im Corona-Jahr 2021. Der Algorithmus der Plattform ist einfach besser, zeitgemäßer. Die Zugangsbarrieren liegen niedrig. Getauscht werden in erster Linie visuelle Clips, die sehr kurz sind und mithilfe von Smartphones einfach hergestellt werden können.

 

TikTok überflügelt die US-Apps auch auf ihrem Heimatmarkt 

 

Es stellt sich die Frage, die vor gut zehn Jahren anlässlich des Börsengangs von Meta ebenfalls die Medien- und Mediagemeinde elektrisierte: Bei aller Präsenz in den Jugendzimmern und auf den Pausenhöfen – wie lässt sich aus TikTok ein kommerzieller Welterfolg machen? Ist das überhaupt denkbar, gerade wegen der interkulturellen Unterschiede? TikTok ist vor allem eins: tough. Es hat seine Erfahrungen in dem erbittert umkämpften SocilaMedia-Markt Asiens gemacht und sich dort behaupten können. Hervorgegangen ist die Plattform aus ByteDance, einem chinesischen Medienhaus, das 2021 nicht weniger als 40 Milliarden US-Dollar umsetzte. Firmenintern konnte sich TikTok gegen Douyin, einer ähnlichen SocialMedia-Plattform, behaupten. 

 

Selbst konservative Beobachter waren sich – vor dem Beginn des Ukrainekriegs - sicher, dass TikTok die amerikanischen SocialMedia würden überflügeln können. Welche Umsätze TikTok macht, ist bislang nicht einsehbar, um, wie es heißt, weitere Attacken, wie sie 2020 noch von Donald Trump lanciert wurden, von dem Unternehmen fernzuhalten. TikTok tat sich hervor bei der inhaltlichen Unterstützung für Werbende auf der eigenen Plattform. Auf dem Gebiet von SocialCommerce spielte TikTok seine Erfahrungen aus dem Asiengeschäft aus. Und es gelang schnell, eine gut verdienende Influencer-Gemeinde an sich zu binden, die 2021 nach eigenen Angaben 55 Millionen US-Dollar pro Jahr verdiente.

 

Um den Konflikten mit US-Aufsichtsbehörden zu entgehen, hat die Plattform Shou Zi Chew als CEO im neutralen Singapur installiert. In China aufgewachsen, aber auch mit Business-Erfahrung in den USA sollte Shou TikTok endgültig auf dem Weltmarkt etablieren. Doch Anfang März wurde bekannt, dass der US-Senat an einem TikTok-Verbot bastelt. Das chinesische Handelsministerium beklagte umgehend die Politisierung des Handels. Grund dafür sei die Angst der USA vor dem Verlust der globalen Hegemonie. Schon länger gibt es Befürchtungen in Europa und Nordamerika, die chinesische Regierung könnte auf TikTok zugreifen – und damit auf die Daten von Hunderten Millionen Nutzerinnen und Nutzern.

 

TikTok lässt Vorwürfe wie diese nicht im Raum stehen. Sprecher des Konzerns beteuern, die Daten der Anwenderinnen und Anwender aus den USA würden ausschließlich in den Vereinigten Staaten verarbeitet, Backup-Server befänden sich in Singapur. TikTok agiere außerdem unabhängig von dem in Peking sitzenden Firmenteil von ByteDance.

 

Hafenkräne und Trash-TV-Apps: Wie weit reicht Chinas Überwachungsapparat?

 

Doch die Ängste vor chinesischer Softpower – insbesondere vor dem Hintergrund des deutschen Wandel-durch-Handel-Desasters mit Russland – wachsen. Anfang des Jahres haben wir hier im Megatrend-Letter über die verstärkte Einflussnahme Chinas durch Firmenkäufe und Beteiligungen an systemwichtigen Infrastrukturen wie Überseehäfen in Europa berichtet. Vor wenigen Tagen warnten US-Beamte laut Wall Street Journal, Hafenkräne des chinesischen Herstellers ZPMC, die auch in den USA häufig eingesetzt werden, könnten als Spionagewerkzeuge eingesetzt werden. Würde TikTok von westlichen Smartphones verbannt, hätte das womöglich fatale Folgen für den Fortbestand eines globalen Internets. Mehr noch: Entzündet sich an TikTok, das weltweit am schnellsten wachsende soziale Medium, ein digitaler Stellvertreterkrieg zwischen China und den USA und wird damit zum Auslöser für ein „Great Decoupling“, die Trennung der Weltgemeinschaft in antagonistische Machtblöcke, ähnlich der Situation im „Kalten Krieg“. 

 

Der Streit um die App, die von mehr als 100 Millionen Menschen in den USA und rund einer Milliarde Menschen weltweit genutzt wird, erhält eine weltpolitische Dimension. In Deutschland hat TikTok rund 19 Millionen Nutzende. In fast allen Bundesministerien ist die Plattform mittlerweile schon tabu. Nachdem das Weiße Haus Ende Februar angeordnet hatte, die App müsse von allen Dienstgeräten der Bundesbehörden gelöscht werden, zogen später die EU-Kommission sowie Dänemark und Kanada mit ähnlichen Regelungen nach. Verzweifelt versucht TikTok gegenzusteuern und hat angekündigt, neben Shanghai auch weitere externe Rechenzentren in Irland und Norwegen bauen zu wollen, so dass Daten nicht in die Hände des chinesischen Geheimdienstes fallen können. 

 

Es ist bekannt, dass mehr oder weniger jedes Unternehmen in China für die chinesische Regierung arbeitet. TikToks Versuch, mit der Ansiedlung in Shanghai Unabhängigkeit zu suggerieren, wird nicht nur republikanische Senatoren nicht vollends überzeugen. 

 

Zu der Geschichte der Unterhaltungs-App für junge Zielgruppen gehört nach wie vor jedoch auch das Faktum, dass nahezu alle SocialMedia-Apps personalisierte Daten absaugen, allen voran Meta, Instagram, Google, YouTube. Es ist ein integraler Bestandteil ihres Geschäftsmodells. Die Daten werden von Datenmaklern gekauft und verkauft, von denen wir noch nie etwas gehört haben und die wenig Skrupel haben, wo die Daten landen. Und anhand der Daten werden Persönlichkeitsprofile und digitale Dossiers erstellt, die chinesische Nachrichtendienste brennend interessieren könnten. 

 

TikTok, das, was aus unseren Kinderzimmern schallt, könnte in diesem Jahr zum Sinnbild für die Zukunft des Internets angesichts geostrategischer Turbulenzen werden. Ob die Plattform das überlebt, bleibt offen.