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Können wir wirklich auf Zement und Beton verzichten?

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Eine klimafreundlichere Zement-Produktion wird allmählich in Konturen erkennbar. Die Elektrifizierung der Herstellung und Kohlendioxid-Abscheidung bleiben Schlüsseltechnologien. Kühne Projekte tüfteln aber auch an einer Stahl- und Zementproduktion bei Raumtemperatur

 

Zement, banal und mehr oder weniger unsichtbar, ist nach wie vor eine der größten Klimagefahren. Rund acht Prozent der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen (mehr als alle Pkws zusammen) gehen auf die Herstellung und Nutzung von Zement zurück. Wäre Zement ein Land, würde es auf Platz vier der Nationen mit den höchsten CO2-Emissionen rangieren. Bislang galt die Feststellung: Wer vernünftigen Wohnraum für immer mehr Menschen auf der Erde schaffen will, kommt an der Nutzung von Zement nicht vorbei. Die scheinbar unausweichliche Zement-Produktion, so sehen es die meisten Klimaexperten, muss vor allem durch die Abscheidung und Speicherung (CCS) des dabei entstehenden Kohlendioxids kompensiert werden. 

 

Doch allmählich beginnt sich das Zement-Narrativ zu verändern. Mit der „First Mover Coalition” (u.a. Apple, GM, Pepsi, Delta Rio Tinto) wurde im vergangenen Jahr eine Koalition von großen Unternehmen gegründet, die sich verpflichten, als Käufer unter anderem von grünem Stahl und Zement die Transformation als Abnehmer zu unterstützen.

 

Ein paar Beispiele:

 

Pioniere der teuren Kohlendioxid-Abscheidung: Heidelberg Cement heißt jetzt Heidelberg Materials. Das sollte in seiner Bedeutung nicht mit dem Wechsel von Raider zu Twix verwechselt werden, denn der Konzern arbeitet tatsächlich an interessanten, vielleicht sogar zukunftswichtigen Lösungen. Heidelberg Materials (Jahresumsatz: 18,7 Milliarden Euro nur mit Zementprodukten) wird in Deutschland nach eigenen Angaben ein klimaneutrales Zementwerk bauen. Die Anlage soll spätestens 2030 in Betrieb gehen, das Kohlendioxid soll eingelagert werden. Bislang ist Heidelberg Materials das deutsche Unternehmen mit dem zweithöchsten CO2-Ausstoß und einer der größten Baustofflieferanten der Welt. Wie Heidelberg Materials mitteilt, arbeitet das Unternehmen bereits an acht klimaneutralen Zementwerken, unter anderem in Norwegen, England, Bulgarien, in den USA und in Kanada. Ab dem Jahr 2024 will man CO2-freien Zement anbieten. Bislang ist jedoch kaum nachvollziehbar, wie dieser schnelle Wandel allein durch CO2-Abscheidung und -Weiterverwendung gestaltet werden soll.

 

Calix entwickelt eigenes Verfahren für Kohlendioxid-Abscheidung: Die Zementherstellung gehört zu den emissionsreichsten Industrieprozessen überhaupt, da ein Großteil der Kohlendioxid-Emissionen durch den Kalkstein beim Brennvorgang freigesetzt wird. Diese Emissionen lassen sich auch beim Wechsel auf klimaneutrale Brennstoffe nicht vermeiden. Das australische Unternehmen Calix hat unter dem Namen Leilac (Low Emissions Intensity Lime & Cement) ein spezielles Verfahren entwickelt, das es erlaubt, unvermeidbare CO2-Mengen zukünftig abzufangen und entweder als Rohstoff in der chemischen Industrie einzusetzen (CCU) oder unterirdisch zu speichern (CCS).

 

Mit MIT-Technologie zu grünem Stahl und Zement: Die Boston Electrometallurgical Corporation wurde im Jahr 2012 gegründet und hat eine Technologie entwickelt, bei der mittels elektronischer Energie Stahl und auch Zement bei Temperaturen von 1.400° Celsius erzeugt werden. Bei der Stahlherstellung stützt sich das Unternehmen auf die Kommerzialisierung eines am MIT (Massachusetts Institute of Technology) entwickelten Verfahrens – der sogenannten Oxid-Schmelzelektrolyse. In einer speziellen Elektrolysezelle kann Eisenerz (Fe2 O3 sowie Fe3 O4) ohne ein kohlenstoffhaltiges Reduktionsmittel direkt in seine Hauptbestandteile Sauerstoff (O2) und flüssiges Roheisen (Fe) umgewandelt werden. Nach Einschätzung von Agora Energiewende wird die Technologie jedoch erst im Jahr 2050 als Großtechnologie zur Verfügung stehen.

 

Stahl und Zement bei Kaffee-Temperaturen: Weitaus spektakulärer noch klingt das, was das US-Startup Electra aus Colorado zu bieten hat. Wie Bloomberg berichtet, ist Electra dabei, Zement und Stahl auf Basis von elektrischem Strom herzustellen – und zwar bei Temperaturen, bei denen man gewöhnlich seinen Kaffee trinkt. Nur eine Erhitzung von 60° Celsius sind notwendig, um emissionsfreien Stahl und Zement zu produzieren, was beides bislang nur bei Temperaturen um die 1.600° Celsius möglich ist. Einstweilen ist über den chemischen Prozess nur wenig bekannt. Für das Projekt eines grünen Zements hat das Unternehmen bereits 85 Millionen US-Dollar von Investoren eingeheimst, zu denen auch Bill Gates zählt. Experten wie Venkat Viswanathan von der Carnegie Mellon University bestätigen, dass das Verfahren von Electra auch außerhalb von Laborversuchen funktionieren wird.  

 

Stahl und Zement bei Zimmertemperaturen: Viswanathan selbst hat mit Chement in Chicago ein Startup gegründet, das davon ausgeht, Zement und Stahl in ein bis zwei Jahren bei Zimmertemperatur produzieren zu können. Dabei werde zwar Kohlendioxid freigesetzt, jedoch nur als pures Gas, was – nach Angaben von Chement – die CO2-Speicherumg weniger aufwendig macht. Das Verfahren von Chement überzeugt auch deshalb, da viele Prozessschritte anschlussfähig zu den herkömmlichen Produzenten von Zement und Stahl sind. Sublime Systems aus Boston möchte Zement in zwei Schritten herstellen, bei denen jeweils grüne Elektrizität der Energieträger ist. Doch auch hierbei muss in geringeren Mengen freiwerdendes Kohlendioxid eingefangen werden.  

 

Trendprognose

Der Holzbau ist nach unserer Einschätzung der naheliegendste Ansatz, um der Fixierung auf Zement und Beton zu entkommen. Mittlerweile hat diese uralte Idee unter anderem auch die spezialisierte Klimafolgenforschung und die Bundespressekonferenz für sich einnehmen können. Trotzdem ist es sinnvoll, Fortschritte bei der Dekarbonisierung einer Schlüsselressource wie Zement ernst zu nehmen und systematisch zu fördern. Volumenmäßig betrachtet „konsumiert“ die Menschheit mehr Zement als Wasser. Eine Welt ohne Zement ist – vorläufig – nicht vorstellbar.