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China rast in den Zustand kollektiver Vergreisung - Fachkräftemangel ist eine von vielen Folgen des Trends

Foto: Shutterstock
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Chinas Geschäftsmodell hat sich verändert: längst stehen Wissensjobs und höhere Dienstleistungen im Vordergrund. Dafür fehlen rund 11,8 Millionen Fachkräfte. Der galoppierende demografische Wandel verstärkt den Trend.

 

China hat den Wandel von einer agrarischen Ökonomie in eine moderne Technologie- und Dienstleistungsgesellschaft in nur zwei Generationen vollzogen. Doch rasanter sozialer Wandel (Ähnliches konnten wir Endes des 20. Jahrhunderts in Osteuropa beobachten) führt fast zwangsläufig zum Rückgang der Geburtenrate. In China kommen allerdings die – schlecht berechneten – Auswirkungen der Ein-Kind-Politik noch hinzu. Das alles wird dazu führen, dass China bis 2030 rasant altert. 60 Millionen junge Menschen (15 bis 35 Jahre) weniger werden bis dahin dem Staatskapitalismus zur Verfügung stehen als noch im Jahr 2020. Dagegen wird sich der Staat um 114 Millionen Menschen mehr kümmern müssen, die jenseits der 60 Jahre sind. Im Jahr 2030 wird insgesamt ein Viertel der chinesischen Bevölkerung 60 Jahre und älter sein.   

 

Demografischer Wandel ist ein Megatrend, das heißt, seine Auswirkungen werden uns weltweit in den kommenden 30 bis 50 Jahren beschäftigen. Wer Megatrends ignoriert, dem kann es passieren, dass er schnell von den relevantesten Veränderungsprozessen in Wirtschaft und Gesellschaft abgeschnitten wird. Deswegen ist es ratsam, Megatrends wie den demografischen Wandel frühzeitig in ihren Auswirkungen zu erfassen. Denn so lassen sich Megatrends geschickt als Frühwarnsystem nutzen. 

 

Die Volksrepublik China zeigt eher , wie man es nicht tun sollte. China hat sich über Jahrzehnte von seinen wirtschaftlichen Erfolgen blenden lassen und ist dabei, die westliche Welt beim Thema der Alterung der Gesellschaft mit Höchstgeschwindigkeit links zu überholen. Das Reich der Mitte rast mit Vollgas in den Zustand der kollektiven Vergreisung.  

 

Die folgenden 4 Auswirkungen stechen aktuell besonders heraus:

 

• Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel drohen zeitgleich: Anders als hierzulande war der Fachkräftemangel in China bereits in den 2010er Jahren ein ernstes Thema. Mittlerweile zeigt sich, dass das Fehlen von gut ausgebildeten Frauen und Männern in China die Aussicht auf mehr Wirtschaftswachstum massiv blockiert. In dem bevölkerungsreichsten Land der Erde ist das nicht nur eine Frage der Quantität. Nach wie vor ist der Anteil der sprachlich und mathematisch minder Qualifizierten in keinem Land der Welt so hoch wie in China (500 Millionen Menschen ohne höhere Schulbildung). Hinzu kommt ein beträchtlicher Mangel an Fachkräften auf dem Pflege- und Gesundheitssektor. Mit einem Nebeneinander von Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit ist in den kommenden Jahren vor allem deshalb zu rechnen, weil Automatisierung und Künstliche Intelligenz einfache Tätigkeiten übernehmen werden.

 

• Jugendrebellion gegen den übergriffigen Staat: Momentan leidet China an einem Zuviel an Akademikern und an einem Mangel an Fachpersonal besonders bei alltagswichtigen Infrastrukturen. Universitätsabschlüsse werden bevorzugt, sind jedoch teuer, die Ausbildung dauert lange und die ersten Jobs sind in der Regel nicht gut bezahlt. Die Demonstrationen anlässlich der rigiden Corona-Politik Ende des vergangenen Jahres hat ein neues Licht auf Chinas Jugend geworfen. Leistungsdruck und staatliche Bevormundung entluden sich in militanten Demonstrationen, die an Aufstände erinnerten und die chinesische Führung zum Einlenken in der Corona-Politik zwangen. Chinas angeblich ausgebrannte und apathische Jugend zeigte sich rebellisch.

 

• Zerstörung innerfamiliärer Kulturen: Der rasante Zuzug jüngerer Arbeitskräfte in die Großstädte, hat in China die Kultur innerfamiliärer Unterstützung zerstört. Bis 2030 wird sich die Zahl der Älteren jenseits der 60 Jahre, die Tausende von Kilometern entfernt von ihren Kindern leben, auf 100 Millionen Menschen (!) summieren. Im Jahr 2015 waren es gerade die Hälfte, also 50 Millionen. Das könnte sich schon in den kommenden Jahren auch deshalb als ein großes soziales Problem herausstellen, weil viele alte Menschen im ländlichen Raum keine oder nur wenig Rente beziehen.

 

• Atemberaubende Geschwindigkeit bei der Entstehung der urbanen Mittelschicht: Die seit Jahrzehnten beschleunigte Abwanderung in die Millionenstädte hat nicht nur dafür gesorgt, dass in kürzester Zeit seit den 1908er Jahren eine neue urbane Mittelschicht entstanden ist. Diese Mittelschicht umfasst laut dem Global Wealth Report von 2015 rund 110 Millionen (junge) Menschen und entspricht etwas zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Das verschlechtert gleichzeitig jedoch die Zukunftsperspektiven derjenigen, die weiter auf dem Land leben. Während Chinas urbane Mittelschicht, was Kaufkraft und Konsumstil angeht, fast mit westlichem Standard gleichgezogen hat, fallen die Menschen auf dem flachen Land vor allem bei der Kaufkraft deutlich zurück. Seit Jahren wächst der Stadt-Land-Gegensatz. Wer es geschafft hat und in Moderne und Wohlstand angekommen ist, der lebt in den chinesischen Megacitys. In der Volksrepublik wird Ungleichheit allmählich zum Problem.