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Die 8 Takeaways vom "Silicon Meltdown"

 

“Software eats the world"? Eher nicht. Der Traum ist ausgeträumt. Die Investoren wollen jetzt erst einmal Kohle sehen. Das große Dilemma im Hintergrund: Ausgerechnet dem Silicon Valley mangelt es an Phantasie und Innovationskraft für bessere Geschäftsmodelle 

 

  

1. Daten sind/waren der größte Markt der Welt, doch statt ein neues Geschäftsmodell zu suchen, gibt sich das Silicon Valley futuristischem Eskapismus hin...

Addiert man die Umsätze, die Google (plus YouTube), Twitter, Amazon und Facebook aus der Online-Werbung erwirtschaften, sind Daten längst der ertragreichste Markt der Welt. Aus der Browser-Ära sind wir in die SocialMedia-Ära übergegangen; die Smartphone-App-Ökonomie seit Anfang der 2010er Jahre hat Konzerne wie Facebook und Google zu Milliardären des Personalisierten Online-Targetings gemacht. Die SocialMedia, wie wir sie kennen, sind ohne die Nutzung von Nutzerdaten nicht vorstellbar. Wir erleben das Ende einer Ära. Langeweile und Überdruss breitet sich aus. Elon Musk (ein Ingenieur, kein Kommunikationsexperte) twittert sich täglich um Kopf und Kragen. Mark Zuckerberg (weder Ingenieur noch Kommunikationsexperte) möchte sich ein infantiles Spielzeug wie das Metaverse bauen, hat dafür im vergangenen Jahr 15.000 Leute eingestellt und sein Unternehmen in Meta Platforms umbenannt. Amazon-Gründer Jeff Bezos sucht den nächsten Kick im Weltall und hat bekannt gegeben, dass er erst einmal an der Entwicklung von Raketenbooten arbeiten wird. Vanity Projects. Aber was kommt jetzt? 

 

2. Die toxischen Effekte des personalisierten Targetings haben Gesellschaften gespalten und BigTech-Monopole geschaffen, die jetzt erschreckend wenig Veränderungsbereitschaft zeigen...

Die Ära des personalisierten Targetings dauerte gut zehn Jahre. Für Technologietrends ist das durchaus normal. Auch die MP3-Technologie, die Ende der 1990er Jahre die Musiknutzung revolutionierte, entfaltete sich in diesem Zeitraum. Für die sozialen Medien droht mit der Nutzung personalisierter Daten jetzt ein Geschäftsmodell verloren zu gehen, auf das weder Facebook noch Twitter mit heißem Herzen hingearbeitet haben, geschweige denn es selbst kreiert hätten. Es fiel ihnen mehr oder weniger in die Hände: Online-Werbung steht bei Google wie Facebook für nahezu 100 Prozent der Umsätze. Die personalisierten Targeting-Instrumente, mit denen dabei Nutzerdaten versilbert wurden, haben die soziale Medien – lange Zeit von allen Ländern toleriert - zu Überwachungsapparaturen umgestylt. Die verheerenden politischen Verwerfungen (durchaus als Gangsterstory der Infiltrierung durch den russischen Geheimdienst verfilmbar) sind seit 2017 aktenkundig. Schon damals war nachzulesen, wie Putins Troll-Armeen auf Twitter ihre demagogischen Inhalte zur Unterstützung der Brexiteers ausspielten. Personalisiertes Targeting entpuppte sich als digitale Waffensystem zur Spaltung liberaler Gesellschaften.  

 

3. Die Blase ist geplatzt, weil sich das überhebliche und selbstgerechte Silicon Valley nur auf Umsätze und Reichweiten konzentrierte... 

Das Nudging-Prinzip („du erhälst eine kostenlose Kommunikationsdienstleistung und stellst uns dafür deine Daten zur Verfügung“) und die Idee der Netzwerkeffekte sind an ihre Grenzen gestoßen. Es herrscht Inflation und selbst die sophisticatesten Investoren verlangen Gewinne statt Daten und Reichweiten. Für die einst steinreichen BigTech-Konzerne, die in diesem Jahr mehr als 15 Milliarden Euro verloren werden, ist der kostenlose „Konsum“ von digitaler Kommunikation nicht mehr durch Online-Werbung und Investoren subventionierbar. 2022 ist das Jahr, in dem angesichts von Inflation und Ukrainekrieg in kürzester Zeit die Onlineerlöse einbrachen. SocialMedia und personalisiertes Targeting degenerierten zu einer hochexplosiven Blase, die bereits jetzt mit 120.000 Jobverlusten allein im Silicon Valley mehr Verwüstung angerichtet hat als die Dotcom-Bubble zu Beginn der 00er Jahre.  

 

4. Das "Vanity Project" Metaverse unterstreicht nur noch einmal Facebooks Unfähigkeit, Neues zu schaffen...

Analysten aus dem Umfeld des Silicon Valleys verbreiteten anlässlich des lauen Metaverse-Hypes Ende des vergangenen Jahres die rührende Geschichte, dass Mark Zuckerberg ja noch nie „etwas eigenes“ hergestellt hätte. Was jedoch dieses Metaverse ist und in welcher Form es irgendwann einmal Gestalt annehmen soll, ist völlig unklar. Fest steht dagegen, dass die US-Kartellbehörden keine weiteren Zukäufe von Facebook mehr erlauben werden. Einstweilen könnte der Konzern in Geräteverkauf machen: 15 Millionen Oculus-VR-Brillen sollen bereits verkauft worden sein. Das ist gar nicht schlecht, ist aber noch lange kein Metaverse. Zuckerberg möchte, so formulieren es wohlgesonnene Valley-Beobachter, endlich eine eigene Plattform haben, ein eigenes Produkt, um unabhängig von Apples Anfang 2022 verschärften Datenbestimmungen zu sein. Analysten heben hervor, dass der mittlerweile stark begrenzte Zugriff auf die Datenschätze von iPhone und iPad noch vor Inflation und Zinspolitik den Hauptgrund für den steilen Absturz von Facebook darstellten. Dass sich Zuckerberg keinem Wertkanon verpflichtet fühlt, ist hinlänglich beschrieben worden. Facebooks Geschäftsmodell entstand eher zufällig nach dem Börsengang 2011. Genau zu diesem Zeitpunkt trat das mobile Internet seinen Siegeszug an und damit begann die Herrschaft der Algorithmen, des Trackings und der Monopolisierung der Online-Werbung durch Facebook und Google (jeder zweite Online-Werbedollar geht seitdem an Facebook und Google). Facebook hat früh, beispielsweise mit der Timeline-Logik, bei Twitter abgekupfert. Von Innovation und Kreativität konnte bei Facebook nie wirklich die Rede sein. Auch das ein Grund dafür, dass Facebooks Marktkapitalisierung in 13 Monaten um 250 Milliarden US-Dollar abstürzte. 

 

5. Twitter scheiterte an dem Missverständnis, dass Medien ein sich selbst regulierender Markt seien...

Twitter war der privilegierte Ort für das politische Agendasetting in den 2010er Jahren. Diese herausgehobene Position (welches Einzelmedium konnte das je behaupten?) wurde von Twitter-Gründer Jack Dorsey jedoch nicht nur annähernd kapitalisiert. Twitter ist mit seiner Kurznachrichten-Logik möglicherweise einfach zu unsinnlich und spätestens seit 2015 zu negativ und polarisierend in seiner Ausstrahlung auf alle diejenigen, die an relevanten Informationen, aber nicht an politischer Spaltung und Hetze interessiert sind. Bis vor wenigen Tagen blieb Twitter ein ökonomisch prekärer und politisch-kulturell fragwürdiger News-Kanal innerhalb der algorithmischen Aufmerksamkeitsökonomie, was an sich schon hochgradig widersprüchlich ist. Twitter symbolisiert das Scheitern eines neoliberalen Informationsverständnisses: Wir lassen jeden Hass und Trash auf unserer Plattform zu, nennen das Free Speech, die „richtige“ Sichtweise wird sich dann schon von selbst durchsetzen.  

 

6. Kommt jetzt „Paid SocialMedia“? – dafür könnte BigTech ausgerechnet von den klassischen Medien lernen...

Dass ein Übergewicht an Umsätzen aus der Werbung ganze Märkte in den Abgrund reißen kann, hat Zeitungssterben vor mehr als 20Jahren gezeigt. Ironischerweise geschah das damals als Auswirkung des Informationsbooms im Internet. Wie kommt Tech-Genie Elon Musk jetzt ausgerechnet darauf, Twitter mit einem Abomodell auszustatten? Von irgendwas muss Twitter schließlich leben. Und ausgerechnet Zeitungshäuser weisen hier den Weg: Im Jahr 2003 war die „New York Times“ zu 70 Prozent von Werbung abhängig, jetzt wird 70 Prozent des Umsatzes über Abonnements gemacht. Aber welche Nutzer werden dafür bezahlen, dass sie im Netz ausspioniert und beschimpft werden. In der vergangenen Woche sah es zwischenzeitlich so aus, dass Twitter innerhalb der nächsten 48 Stunden kollabieren könnte und abgeschaltet wird. Schlimmer als diese Befürchtung ist jedoch Orientierungslosigkeit Elon Musks.

 

7. Mit TikTok ist der Beweis erbracht, dass es SocialMedia nach Facebook und Twitter geben wird...

Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor, der in den vergangenen Monaten den Silicon Meltdown beschleunigt hat, ist die Erfolgsgeschichte der chinesischen Plattform TikTok. TikTok übersprang die Milliarden-Nutzer-Grenze noch schneller als Facebook. In nur fünf Jahren hat sich damit ein potenter Konkurrent in das Bewusstsein und Medienverhalten vor allem junger Nutzer eingenistet. Und TikTok läuft heiß. US-Unternehmen nutzen die Plattform, um junge Talente zu rekrutieren. Das Sozialmedium baut sich darüber hinaus gerade als multimediale e-Commerce-Plattform aus. Mit den eigenen SocialCommerce-Anwendungen (in China schon beliebter als im Westen) erzielt die Plattform erstaunliche Erfolge. Die soziale Videoplattform hat nicht nur Googles Pay-per-click-Modell weiterentwickelt, sondern stellt Unternehmen kreative Helfer zu Verfügung, die auf virale Inhalte spezialisiert sind. Angesichts des Wirtschaftskriegs zwischen China und den USA ist es nicht auszuschließen, dass TikTok in den USA durch erhebliche Auflagen gestoppt oder gar an einen US-Konzern verkauft wird (der US-Traffic läuft bereits über Oracle-Server).

 

8. Mayday Alexa, zeige uns das Business der Zukunft! „Software as a medical Device“ könnte den Mythos des Silicon Valleys bewahren...

Datenschleudern wie Alexa, Siri et al haben sich ebenfalls als technologische Sackgasse erwiesen. Wie interne Daten von Amazon zeigen, hat die „Worldwide Digital“-Unit des Konzerns, zu der die Echo-Smartspeaker ebenso gehören wie „Alexa“ und Prime Video, im ersten Quartal 2022 einen Verlust von mehr als drei Milliarden US-Dollar hinnehmen müssen. Der Gesundheit- und Medizinsektor gehört momentan zu den einzigen wirklichen Hoffnungsträgern von BigTech. Amazon hat im Sommer für 3,9 Milliarden US-Dollar den Klinikbesitzer One Medical aufgekauft. Die „Amazon Clinic“ (eine virtuelle Klinik für rund 20 Krankheitsfelder) ist gerade in 32 US-Bundesstaaten gestartet und könnte im Zusammenspiel mit Whole Foods Market (ein US-Bioretailer, den Amazon 2017 mit an Bord nahm) und der Amazon-Prime-Mitgliedschaft zu einer großen nationalen Gesundheitsplattform zusammenwachsen. Doch die Konkurrenz ist in Form von CVS und Walgreens bereits am Start und investiert ebenfalls in die Digitalisierung der Gesundheit. Google setzt ebenfalls auf gesunde Zukäufe. Zwischen 2019 und 2021 investierte Google rund 100 Millionen US-Dollar in Gesundheits-Startups. Aber auch hier warten jetzt die Mühen der Ebene. Und auch bei Google klopfen die Investoren an und verlangen: „Show us the money!“