Die Energiewende ist ein Megatrend. Und Energiepolitik - das muss die deutsche Politik seit Putins Angriffskrieg auf schmerzhafte Weise lernen - ist Zukunfts- und Demokratiepolitik. Südeuropa gerät dabei immer stärker in den Mittelpunkt. In Portugal, Spanien, Frankreich und Griechenland werden in den kommenden Jahren nachhaltige Wachstumszentren entstehen. Gut für Europa. Aber China ist längst schon da
Seit gut einer Woche staut sich klimaschädliches Erdgas an Spaniens Küste. Limitierte LNG-Infrastrukturen, aber auch der abgestürzte Erdgaspreis sind dafür verantwortlich. Der Herbst verspricht in Süd- und Mitteleuropa weiterhin mild zu bleiben. Das macht den begehrten Brennstoff zum Spekulationsobjekt. Doch an der iberischen Küste wird - trotz Putins Rohstoffkrieg - in nächster Zeit der Aufbruch in die neue, weil regenerative Energiewelt stattfinden.
Die Revolution der erneuerbaren Energien (selbst stramme „Fossilisten“ wie Christian Lindner nennen sie jetzt ja „Freiheitsenergie“) könnte in den 2020er Jahren auch in Südeuropa den Wandel hin zu einer CO2-neutralen Wirtschaft und Industrie maßgeblich antreiben. Die falsche Austeritätspolitik in Fortsetzung der Weltwirtschaftskrise 2008 konnte nicht verhindern, dass durch das epochale Projekt der globalen Energiewende auch in Südeuropa Aussicht auf einen nachhaltigen Aufbruch besteht.
Der gesamtiberische Strommarkt produziert schon jetzt deutlich mehr erneuerbaren Strom als auf der Halbinsel verbraucht wird. Ein neues Projekt, das den Namen „Grüner Energie-Korridor“ trägt, soll künftig riesige Mengen an erneuerbarem Strom in emissionsfreie Wasserstoffmoleküle verwandeln, die ab 2030 weniger für die Wärmeerzeugung, aber sicherlich für die Industrieproduktion und den Schwerlastverkehr Verwendung finden.
Sines: Strahlendes Symbol der regenerativen Energiezukunft
Dafür wird in den kommenden Jahren jede Menge Geld für Transportleitungen über der Erde und am Meeresboden in die Hand genommen. Der portugiesische Tiefseehafen Sines ist eines der Leichtturmprojekte der iberischen Energiewende. Nach dem Willen der portugiesischen Regierung soll der stark expandierende Hafen mit einer Elektrolysekapazität von 265 Megawatt im Jahr 2025 und 2,5 Gigawatt bis 2030 zu einem der wichtigsten Hubs für grünen Wasserstoff in Europa werden.
Wo, wie in Sines, 110 Kilometer südlich von Lissabon, bis vor kurzem noch Kohle verbrannt wurde, soll künftig grüner Wasserstoff produziert werden. Das mittlerweile abgeschaltete Kohlekraftwerk an der Algarve mutiert dabei zum Standort für den Wasserstoff-Aufbruch. Die Energiezukunft in Portugal hätte auch anders ausfallen können. Um in Deutschland für die momentane Erdgasknappheit bereit zu stehen, reichten jedoch die Erdgasvorkommnisse in Portugal nicht aus. Außerdem fehlt es an finanzierbaren Transportwegen.
China ist bereits seit der Weltwirtschaftskrise in Portugal „hilfsbereit“
Doch Sines könnte in den kommenden Jahren weit größere Handelswege erschließen: Der Tiefseehafen liegt in unmittelbarer Nähe zu den wichtigen Seewegen aus dem Mittelmeer, aus dem Atlantik und aus dem südlichen Afrika und könnte zur großen europäischen Drehscheibe dieser maritimen Routen werden. Klingt alles sehr vielversprechend. Doch hier kommt China ins Spiel. Mittlerweile besitzen chinesische Investoren fast neun Prozent der börsennotierten portugiesischen Unternehmen, insbesondere im Bereich Energie sowie bei den Banken und Versicherungen. China war mit Investitionen da, als Portugal im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2008-2011 in die Staatspleite stürzte. Und 2018 vereinbarten Portugal und China eine Zusammenarbeit im Rahmen der „maritimen Seidenstraße“.
Derweil sorgt das iberische Transformationsprojekt für erneuerbare Technologien, CO2-freie Energie und neue, diverse Arbeitsplätze. Dafür müssen jetzt zwischen Portugal, Spanien und Frankreich (zumindest bis zum Hafen in Marseille) hurtig Transportinfrastrukturen gebaut werden. Mit den alten Gasnetzen, die bis vor kurzem noch über das Projekt Mitcat eingebunden werden sollten, lassen sich nur zu einem 20-Prozent-Anteil grüner Wasserstoff transportieren. Die neuen Leitungen im Rahmen des „Grünen Energie-Korridors“ sollen vorübergehend auch – wenn speziell hierzulande nach 2023 überhaupt noch gebraucht – fossiles Erdgas transportieren, dann aber für den Durchbruch ins Wasserstoffzeitalter sorgen. Der Grund für den Neubau: Wasserstoff muss mit großem Druck befördert werden und macht Leitungen schnell korrosionsanfällig. Für das Mitcat-Projekt hätte insbesondere Frankreich viel Geld in die Hand nehmen müssen, um einen veralteten Energieträger wie vorübergehend Erdgas zu nutzen. Trotzdem gehörte Bundeskanzler Olaf Scholz unverdrossen zu den Befürwortern des Projekts.
Die Perspektive, die sich für die iberische Halbinsel nun bietet: endlich raus aus der infrastrukturellen Isolation in Europa. Wer schon einmal versucht hat, aus Spanien oder Portugal mit einem Schnellzug über Frankreich nach Deutschland zu gelangen, bekommt ein Gefühl dafür, dass sich die Halbinsel innerhalb der EU immer noch isoliert fühlt. Im Bahnverkehr hat das auch mit der eigenen Infrastrukturpolitik der Iberer zu tun. EU-Milliarden wurden jahrelang in ein durchaus modernes Bahnnetz investiert, das allerdings darauf ausgelegt war, die nationalen Netze zu ertüchtigen; Bahnverkehr zwischen den südeuropäischen Staaten ist nach wie vor ein Ärgernis. Dass Mitcat jetzt beerdigt ist und dafür der „Grüne Energie-Korridor“ kommt, könnte Spanien und Portugal bis 2030 zu wichtigen Wasserstoff-Playern machen.
Regenerative Zukunftsenergien: Griechenland läuft komplett auf Erneuerbaren
In der vergangenen Woche teilte darüber hinaus die IPTO (Independent Power Transmission Operator), ein großer griechischer Stromnetzbetreiber, mit, dass die Stromerzeugung in Griechenland „mindestens fünf Stunden lang“ zu einhundert Prozent aus erneuerbaren Energien stammte. Um etwa 8:00 Uhr sei zudem ein Rekordwert von 3.106 Megawattstunden erreicht worden.
Auch Griechenland sieht also ein Licht am Ende des langen Austeritäts-Tunnels – und ebenfalls in Gestalt der Erneuerbaren. Der Anteil der erneuerbaren Energien in Griechenland aus Sonnen-, Wind- und Wasserkraft lag Reuters zufolge in den acht Monaten bis August dieses Jahres bei 46 Prozent, gegenüber 42 Prozent im gleichen Zeitraum 2021. Nun soll rasch weiter ausgebaut werden. Griechenland wird rund 30 Milliarden Euro an europäischen Geldern und privaten Investitionen in die Hand nehmen, um das Stromnetz zu modernisieren und die Kapazität an grüner Energie mehr als zu verdoppeln. Bis 2030 sollen Erneuerbare mindestens 70 Prozent des Energiemixes ausmachen. Für die nahe Zukunft plant Griechenland nach wie vor jedoch auch die Verbrennung von Kohle. Und auf den Inseln wird Strom aus klimaschädlichem Diesel gewonnen, der teuer importiert und mit 500 bis 700 Millionen Euro pro Jahr subventioniert wird.
Exporte aus Nordafrika für südeuropäische Energiemacht
Trotzdem könnte Griechenland bis Mitte der 2020er Jahre zu einem strategisch höchst relevanten Drehkreuz für die globale Energiewende aufsteigen. Endlich ist nämlich auch erkannt worden, dass es für die Energiewende in Europa von entscheidender Bedeutung ist, dass das in Nordafrika vorhandene gigantische Solar- und Windpotenzial genutzt wird. Die dafür notwendigen Technologien sind in den vergangenen Jahren ausgereift.
An den Netzen für die Energiewende wurde fleißig gearbeitet. Das griechische Stromnetz ist mit allen Elektrizitätssystemen der Nachbarländer und auch dem Italiens zusammengeschaltet. Derzeit wird eine zweite Verbindungsleitung mit Bulgarien gebaut, die die Kapazität des Energietransports zwischen den beiden Ländern verdoppeln soll, was eine wichtige Rolle dabei spielen wird, Bulgarien aus seiner Erdgasabhängigkeit zu befreien. Das Projekt wird Anfang 2023 abgeschlossen und könnte so auch noch bei möglichen Versorgungsschwierigkeiten der EU im Winter helfen. Eine Stromverbindung zwischen Griechenland, Zypern und Israel ist ebenfalls in Planung. Mit dem Bau des ersten Teils zwischen Griechenland Zypern wird noch in diesem Jahr begonnen.
Schlussfolgerungen: Verscherbeln wir gerade unsere kritischen Infrastrukturen?
Das chinesische Staatsunternehmen Cosco besitzt mittlerweile 67 Prozent des Hafens von Piräus und hat dort für hochmoderne Technologie gesorgt. In Portugal ist China längst in unterschiedlichen Branchen präsent. Der umstrittene Einstieg von Cosco (das in China nachweisbar auch militärisch eingesetzt wird) in Hamburg ist gerade über die Bühne gegangen. Cosco ist des weiteren in Ägypten und in der Türkei involviert, andere chinesische Unternehmen in Israel und in Italien. China Logistics hat sich in Wilhelmshaven und Duisburg in die Häfen eingekauft. Der regenerative Energieaufbruch in Südeuropa geht gleichzeitig einher mit einer Debatte über kritische Infrastrukturen und die Verlässlichkeit eines autoritären Staates wie China.
Mit Chinas uneindeutiger Haltung zu Putins Angriffskrieg erhebt sich die Frage: Stürzt Europa gerade in die nächste fatale Abhängigkeit, kauft China gerade ganz Europa auf und verlieren wir schlafwandlerisch den Zugriff auf kritische Infrastrukturen an ein autoritäres Regime? Der Widerstand aus den deutschen Finanz- und Wirtschaftsministerien angesichts von Scholz‘ Alleingang in Hamburg war richtig. Zu lange galt in Europa die Doktrin: China ist an Business interessiert, agiert aber nicht ideologisch und vermeidet internationale Einmischung... Die Erfahrungen des Jahres 2022 legen nahe, dass wir uns von dieser Einschätzung schnellstens verabschieden sollten.
Südeuropa steht vor einer erfolgversprechenden Zukunft bei den Erneuerbaren. China ist hierbei ein ebenso wichtiger Partner wie die EU. Wir sollten nicht so naiv sein und glauben, dass sich der Süden Europas stärker den Werten der EU verpflichtet fühlt als es sich von chinesischen Investoren locken lässt.