· 

Linkspopulismus und politische Regression: 4 Beobachtungen zum aktuellen Zustand unserer Öffentlichkeit

shutterstock Der lupenreine Demokrat und die Hilflosigkeit des Pazifismus
shutterstock Der lupenreine Demokrat und die Hilflosigkeit des Pazifismus

Ihre Dauerpräsenz in den TV-Talkshows machen Richard David Brecht und Harald Welzer zu Symbolfiguren einer politischen Regression. Um in der Aufmerksamkeitsökonomie zu punkten, sind auch Nazi-Vokabular und Geschichtsrevisionismus beliebte Mittel. Wir erleben gerade einen Wertewandel: Linkspopulismus radikalisiert die bürgerliche Mitte. 

 

Was ist los, wenn Bestsellerautoren mit Dauereinsitzrecht in TV-Talkshows die Marginalisierung ihrer Meinung beklagen? Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit? Es steckt viel mehr dahinter

 

Wie viele andere auch wollte ich mich gar nicht mit der Selbstmitleidssuada von Prelzer beschäftigen. Es gibt momentan wahrlich Wichtigeres. Trotzdem manifestiert sich in den Fernsehauftritten von Richard David Precht und Harald Welzer eine gefährliche Verschiebung der öffentlichen Debattenkultur. Ich spreche hier leicht ironisierend von Prelzer, weil ich glaube, dass sich im Auftreten der beiden ein verstörendes Zeitgeistsymptom verbirgt. 

 

1. Putins epistemischer Bruch trifft auf die „Betrachtungen der Unpolitischen“...

Politisch stehen Prelzer für ein militantes Jein im Ukrainekrieg und wollen nicht wahrhaben, dass damit das Töten in der Ukraine weitergeht. Es ist bildungsbürgerlicher Populismus, was Prelzer erzeugen und wovon sie mit sechsstelligen Buchhonoraren profitieren.   

 

Die politsche Argumentation von Prelzer ist auf gefährliche Weise naiv. Zwischen Putin und der demokratischen Staatenwelt gibt es keine Meinungsunterschiede und folglich keinen Vermittlungsbedarf. Putin hat durch seine Aggression so etwas wie einen epistemischen Bruch erzeugt. Die grundlegenden Beschreibungen der Realität in der modernen Welt und in Putins Gewaltherrschaft lassen sich nicht zur Deckung bringen. Timothy Snyder beschreibt Putins nihilistische Entkopplung von Wahrheit und Faktentreue an einer Stelle so: „Die Faktentreue (im russischen Fernsehen) wurde ersetzt durch einen wissentlichen Zynismus, der vom Zuschauer nicht mehr erwartete als ein gelegentliches Nicken vor dem Einschlafen.“ (Timothy Snyder: „Der Weg in die Unfreiheit“, 169)  

 

Es erinnert an Thomas Manns unselige Entgegensetzung von Kultur und Zivilisation in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ von 1920 („Deutschtum, das ist Kultur, Seele, Freiheit, Kunst und nicht Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht, Literatur.“), wenn man sich anhört, wie Welzer unseren Weg in die Zukunft angesichts des Klimawandels beschreibt. Technologien wie Windräder und Solarpanele (Zivilisation) kommen dabei gar nicht vor, die Energiewende scheint nicht zu existieren. Den Grünen wirft Welzer gerne die „Technisierung existenzieller Probleme“ vor, bessere Lösungen hat er indes keine zu bieten: „Entschleunigung ist das, was einer durch Globalisierung und Technisierung überforderten und verunsicherten Menschheit am ehesten hilft. Politischer Aktionismus ist unangebracht, auch wenn die Bürger ungeduldig werden.“ https://www.handelsblatt.com/politik/international/globalisierung-neu-denken-harald-welzer-wenn-es-brennt-ruhe-bewahren/14515726.html Willkommen im Kulturkonservativismus von Spengler bis Heidegger. Nur in der radikalen Änderung unseres Lebensstils (Kultur) und durch die Abkehr von technologischen Weltbildern sieht Welzer den einzigen gangbaren Weg in die Zukunft, was ihn für verzweifelte Mittelschichtler von rechts und links anscheinend nur noch anziehender macht.

 

2. Desillusionierter linker Populismus, der auf demokratische Konsensbildung pfeift, ist ein neuer Markt, das haben Prelzer verstanden...

In seinem berüchtigten Talkshow-Auftritt mit Andrij Melnyk im Mai 2022 reklamierte Welzer für sich die „Sprecherposition“, was in der Soziologie für marginalisierte Menschen eingefordert wird, denen die Mittel fehlen sich zu artikulieren. 

 

Prelzer symbolisieren in ihrem Selbstmitleid und ihrer Selbstüberhöhung einen Wertewandel. Dieser Wertewandel zeichnet sich dadurch aus, dass es Prelzer ebenso wie den Rechtspopulisten nicht um einen Beitrag zu einem inklusiven Raum der politischen Debatte geht, „die die Aufmerksamkeit aller Bürger auf dieselben Themen richten soll, um jeden von ihnen nach denselben anerkannten Maßstäben zu einem eigenen Urteil über die jeweils politisch entscheidungsrelevanten Fragen zu stimulieren“ (Jürgen Habermas: "Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik", S. 60/61), wie es Jürgen Habermas kürzlich formuliert hat. Prelzer geht es um sich selbst, und sonst nichts. Dem Reiz der Selbstermächtigung und -berauschung, die von ihnen in den SocialMedia beklagt wird, fallen sie selbst zum Opfer.

 

Die Attitüde, in der Öffentlichkeit die eigene Marginalisierung zu beklagen (während man als Dauergast in Talkshows hockt), ist ein patentierter Signature Move der Rechtspopulisten. Darin drückt sich bei Prelzer die Weigerung aus, Teil einer konsensuellen (aber Widerspruch und Zweifel kultivierenden) Debattenkultur zu sein, in der das bessere Argument oberstes Prinzip ist. So gesehen handelt es sich bei Prelzer um eine Spielart des Populismus, die vor allem auf die aktuelle Desillusionierung eines melancholischen, linksliberalen Mainstreams zielt, der sich durch die Aktualität des Krieges nicht sein pazifistisches Weltbild und die eigene Vollkasko-Existenz in Frage stellen lassen möchte.   

 

So erzeugen sie regelmäßige Erregungswellen in ihrem Grandhotel Abgrund, das die Talksshows für sie allabendlich stimmungsvoll illuminieren. In ihrem postpolitischen Bauchladen haben sie praktisch jedes Thema am Start, das die radikalisierte Mitte mit sicheren Pensionsansprüchen erschaudern lässt. Liest man einmal genauer rein, kommen alle ihre Bücher jedoch auf einen Kern zurück: bildungsbürgerliche Kulturkritik.

 

3. Selbst-Viktimisierung und die einträgliche Allianz mit einem alten Medium...

Die neueste Pose, mit der Prelzer auftreten, ist die der Selbst-Viktimisierung: („schaut, so geht man mit mir um“); Selbstmitleid bei gleichzeitiger Selbstermächtigungseuphorie („Ich bin jetzt mal ein Philosoph“); ihr Weltbild ist durchgängig rückwärtsgewandt. Und damit lassen sich hierzulande hervorragend Bestseller platzieren.

 

In ihrer Wortwahl sind sie selbst nicht zimperlich. Prelzer bedienen sich mit einem Begriff wie „Selbstgleichschaltung“ direkt beim Vokabular der Neonazis und Rechtspopulisten. Gleichschaltung ist das, was Pegida und Rechtsextreme dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorwerfen; eine raffinierte populistische Volte der Autoritären von rechts und links, dem Gegenüber, dem föderativen Rundfunksystem, Gleichschaltungstendenzen zu unterstellen, wie sie von den Nationalsozialisten ab 1933 in Deutschland und heute von Putin in Russland umgesetzt werden.  

 

Schnell war der selbsternannte Philosoph Precht bei der Hand, um Entlassungen in Redaktionen zu fordern. Harald Welzer weist nicht nur professoral den ukrainischen Botschafter zurecht, sondern betreibt – als Erinnerungsforscher! – aktive Täter-Opfer-Umkehr, wenn er für sich als deutschen Pazifisten besondere Leidenserfahrung einklagt. Welzer bringt es fertig, in seinen nebulös bis düsteren Lamenti über zu viel Wachstum, zu viel Konsum und die Sinnlosigkeit der Energiewende zu extemporieren, ohne nur eine Erklärung darüber abzugeben, wie denn das Energiesystem der Zukunft aussehen könnte. Wolkig ist immer von „Zurück“ und „Zuviel“ die Rede. Dabei gibt es eine vielfach beschriebene und durchgerechnete Roadmap, wie wir in das postfossile Zeitalter kommen können. Mit einer feuilletonistischen Kritik unserer ach so desaströsen Lebensweise - darüber würden Prelzer gerne noch 50 Jahre raunen - werden wir jedenfalls keine Probleme lösen. Kulturpessimismus schafft Auflage, aber keine bessere Welt.

 

Es ist ein abgekartetes Spiel: die Verlage setzen (seit den 2000er Jahren, getrieben durch das Internet) immer stärker auf Empörung und Polarisierung, und abgezockte Vereinfacher wie Preltzer profitieren von dem errektiven Dauerzustand unserer Öffentlichkeit. Das ist keine unmittelbare Auswirkung der SocialMedia, sondern hat zuallererst mit einer Angst vor der Migration des Bildungsbürgertums ins Netz zu tun (seit Jahrzehnten stabile Leserzahlen widersprechen übrigens dem gefühlten Lesekulturverfall

 

Nervöse Buchverlage und Thesen-Profis wie Prelzer treffen sich in dem Bauchgefühl, dass es ja sowieso nur noch diese Krawalldemokratie gibt. Dass sie dafür die öffentlich-Rechtlichen verantwortlich machen, unterstreicht das Verquere an ihrer Haltung. Denn vor allem sie selbst sind es, die von der Erregungs-Öffentlichkeit profitieren. Die Magengeräusche von Prelzer und die bildungsbürgerlich aufgeladenen Verlage, diffus die eigene Bedeutungslosigkeit fürchtend, treffen sich in einem nöligen Kulturpessimismus. Aufgeschreckt durch Kriegs- und Klimaangst, tendiert er gerade besonders stark in Richtung eines desillusionierten Linkspopulismus, der damit beachtliche (ich vermute insbesondere in schröder-putin-gestressten sozialdemokratischen Milieus) Leserreichweiten erzeugt.

 

Prelzer verstehen es, die Verwirrung ihres Publikums zu bedienen. Aufrechte Sozialdemokraten, die sich immer auf der richtigen Seite wähnten, solidarisch mit denen, die es nicht so leicht haben, müssen jetzt das Apeasement-Desaster mit dem lupenreinen Gasmann im Kreml erleben. Olaf Scholzens dreiste Beschönigungen, die er neuerdings äußert, lassen an seiner Kanzlerreife zweifeln, was zusätzlich am eigenen Weltbild nagt. Hier finden Prelzer ihr Publikum: Die Vortäuschung philosophischer Tiefe bei Precht und Welzers reaktionäre Zivilisationskritik finden, da bin ich mir sicher, im desillusionierten Bildungsbürgertum mit sozialdemokratischem Mitte-Linksdrall wachsende Zustimmung. Eine zweite und weniger aufrechte Zielgruppe, die Prelzer mittlerweile ebenfalls und ziemlich unverhohlen bedienen: modernitätsgeplagte Anthroposophen und Corona-Skeptiker.

 

4. Linker Populismus und die schwindende Kraft der öffentlichen Auseinandersetzung... 

Prelzer sind populistische Egozentriker, die sich über Twitter echauffieren, aber selbst die disrupted public sphere der SocialMedia, die nichts mehr erklärt, sondern nur noch Befindlichkeiten ausdünstet, für ihre flache Prosa wie die Luft zum Atmen brauchen. Das Bedenkliche an ihrer J’accuse-Attitüde: Mit ihrer larmoyanten Selbstbezogenheit kündigen sie den demokratischen Grundeinverständnis unserer Öffentlichkeit auf, wonach das bessere Argument im Meinungsstreit vom „Unterlegenen“ verlangt, sich dem Kontrahenten konsensuell und im Dienste der Wahrheit zu beugen. In einer demokratischen Öffentlichkeit, so formuliert es Habermas, „müssen die Bürger ihren Meinungsstreit sowohl als folgenreich wie auch als einen Streit um die besseren Gründe wahrnehmen können.“ (Habermas, S. 27).

 

Politische Öffentlichkeit hat stets inklusiv zu sein. Sie hat den Bürgerinnen und Bürgern zu dienen, die in den Medien eine einzigartige Plattform finden, in der sich „kommunikative Geräusche zu relevanten und effektiven öffentlichen Meinungen verdichten können.“ (Habermas, S. 39) Bei Prelzer erleben sie die Zerstörung eines gemeinsamen Kommunikationsraums aus gekränkter Eitelkeit und Geltungssucht.  Zur Erinnerung an bessere Zeiten, machen wir uns doch einfach einmal diese Fallhöhe bewusst: Während in einer funktionierenden Öffentlichkeit die Medien die Aufgabe übernehmen, den gesellschaftlichen Diskurs zu relevanten Themen (idealerweise: die Zukunft unserer Gesellschaft) zu organisieren, sitzen Prelzer bräsig in Dauerschleife in Talkshows herum und demonstrieren, dass sie an die meinungsbildende Kraft des öffentlichen Diskurses gar nicht interessiert sind, sondern nur noch den eigenen Empfindlichkeiten zu folgen bereit sind. 

 

Prelzer sind die traurig-komischen Aushängeschilder einer politischen Regression, clevere Profiteure einer Aufmerksamkeitsökonomie, der es nicht um relevante Themen in einer öffentlichen Debatte geht, sondern um die treibhausmäßige Erzeugung von Erregung, Empörung und Affekten, die das Publikum nach Möglichkeit spalten soll, um noch mehr formale Aufmerksamkeit, Klicks und Reichweite zu erzeugen und immer so weiter. Prelzer haben sich in den vergangenen Wochen zum Durchlauferhitzer eines postpolitischen Juste Milieu erklärt.