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Warum die Digitalisierung für die sozial-ökologische Transformation so wichtig ist. 6 Lektionen aus dem Datendesaster der vergangenen Jahre

Quelle: ITZ 2021
Quelle: ITZ 2021

Der Siegeszug der Digitalisierung in den vergangenen 20 Jahren hat den Eindruck erweckt, dass das „hierarchiebefreite“ Netz gleichzeitig auch Demokratie und Wohlstand auf Dauer garantiert, dafür brauchte es dann so etwas wie Politik gar nicht mehr. Mitte der 2010er Jahre wachten wir dann in einer dunklen Dystopie auf und mussten erkennen: mit personalisierten Daten und Algorithmen lassen sich Gesellschaften spalten. Für das Projekt der sozial-ökologischen Transformation brauchen wir neues Vertrauen in Daten und Institutionen. Daten, das wurde in Zeiten der Internet-Euphorie zum geflügelten Wort, sind der Rohstoff der anbrechenden neuen Zeit. Dumm nur, dass sie fast ausschließlich im Besitz von mächtigen Internetkonzernen sind und dort eine entscheidende Rolle beim Werbeverkauf spielen. Eine neue Datenkultur muss uns die Werkzeuge in die Hand geben, um Ungleichheit, Diskriminierung und Desinformation bekämpfen zu können.

 

Das Internet wird in den kommenden Jahren noch wichtiger. Um einen globalen Green New Deal organisieren zu können, brauchen wir vertrauenswürdige Strukturen im World Wide Web. Davon sind wir momentan Lichtjahre entfernt. In diesem Kapitel geht es darum, wie sich der digitale Raum zu einer funktionierenden Infrastruktur für die großen Veränderungen, die auf uns zukommen, umgestalten lässt. 

 

Es ist nicht die Frage, ob, sondern wie der Megatrend Digitalisierung dazu beitragen wird, die große Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu bewerkstelligen. Nach der Ära der Disruption brauchen wir: Kooperation, Konsens, Vertrauen und deutlich mehr Partizipationsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft. Der Monopolanspruch der großen Technologiekonzerne hat uns dorthin gebracht, wo wir aktuell stehen: Leugnung der Klimakrise, Leugnung von Ungleichheit, Krise der Demokratie. Wie war das über digitale und analoge Kanäle möglich?

 

6 Trends 

 

1. Die Beaufsichtigung von Plattformen muss sich auf internationales Recht stützen können: Datensouveränität ist der fundamentale Ausgangspunkt, die conditio sine qua non für einen neuen Konsens in unserer Gesellschaft. Das setzt eine Offenlegung der Algorithmen seitens der Plattformanbieter voraus und sollte sich auf ein abgestuftes Zugangsmodell unterschiedlicher Zugriffsrechte für Aufsichtsbehörden, Wissenschaft und die Allgemeinheit berufen können. Alles das ist nur in einem supranationalen Rahmen umsetzbar, denn - wie sich nach wie vor tagtäglich zeigt – sind nationale Behörden sind nicht wirkungsmächtig genug in der Auseinandersetzung mit den Interessen der global operierenden Plattformen.

 

2. Technische Dezentralisierung ist gut, reicht aber nicht aus: An alle Blockchain- und Technologie-Evangelisten: Es geht einfach nicht ohne gesellschaftliche Institutionen. Rein technologische Lösungen tragen immer die Gefahr des Machtmissbrauchs in sich, wobei die Interessen derjenigen, die die Technologie missbrauchen, mit technologischer Neutralität bemäntelt werden. Maschinen verfügen über keine ethischen Codes und können sich nicht gegenseitig beobachten. In einer Realität, in der die Nutzer selbstbestimmt mit ihren Daten umgehen können, sie auf Märkten also auch gewinnbringend verkaufen können, braucht es gesellschaftliche Institutionen bzw. MIDs ("Mediators of Individual Data"), die verantwortungsbewusstes Handeln garantieren.

 

3. Wir brauchen eine Kultur des digitalen Konsenses: Nicht zerstören, sondern gemeinsame Wege finden, nicht polarisieren, sondern zusammenführen. An den extremen Polen einer Entwicklung entstehen immer nur Wahrheitsgehabe und Fundamentalismus. An den radikalen Rändern formieren sich die Glaubenskrieger, bereit zum digitalen Gemetzel. Neues Vertrauen in das Internet lässt sich so nicht herstellen. Doro Bär, die ehemalige deutsche Digitalisierungsstaatsministerin, hat vor ein paar Monaten in der „Wirtschaftswoche" eine „Bundeszentrale für digitale Aufklärung“ gefordert. Doro Bär ist keine Audrey Tang. Doch von den Civic-Hackern in Taiwan können wir alle lernen, dass Offenheit, (Daten-)Transparenz und eine digitale Kultur des Konsenses das Vertrauen in die Gesellschaft und ihre Netze wiederherstellen können.

 

4. Eine lebendige Demokratie hackt sich selbst, permanent: Taiwans „Civic-Hacker“ liefern die Blaupause dafür, wie eine selbstbewusste Gesellschaft und ein selbstbewusster Staat in Zukunft kommunizieren sollten: mit zeitgemäßen digitalen Werkzeugen, die schnell bereitstehen, der Situation angemessen sind, aber auch selbst sofort wieder gehackt werden können und so für permanente Anpassung und Optimierung in Realzeit bereitstehen. Information, Transparenz, Orientierung, Mobilisierung - Teilhabe bis in den Akt der Entscheidungsfindung von Gesetzesvorhaben hinein. Digitalisierung liefert entscheidende Fortschritte für eine neue kommunikative Robustheit zwischen Bürger und Staat.

 

5. Firewalls gegen FakeNews dürfen nicht die Angelegenheit der Unternehmen bleiben: Die freiwillige Selbstkontrolle, wie sie von Big Tech bereits in Ansätzen praktiziert worden ist, darf nicht das letzte Wort sein, denn sie führt vor allem dazu, dass die internen „Zensoren“ mangels Kompetenz kurzerhand mit der Schrotflinte auf alle zielen, was auch nur ansatzweise wie eine abweichende Meinung aussieht. Das Ergebnis wäre eine Internetkultur made in China.

 

6. Vertrauen ist die Voraussetzung für Veränderung: Vertrauen in Mitmenschen, Institutionen, Regeln, in das Bild der Realität, das die Medien entwerfen – ohne Vertrauen lässt sich Zukunft nicht gestalten. Mit diesen Voraussetzungen müssen wir den digitalen Raum wieder aneignen. Ohne Vertrauen in die Medien lässt sich eine Gesellschaft nicht verändern. Erst eine progressive (digitale) Öffentlichkeit macht das „Angebot einer bestimmten Zukunft, einer gemeinsamen Zukunft, die sich nicht ohne weiteres aus der gemeinsamen Vergangenheit ergibt, sondern ihr gegenüber etwas Neues enthält“ (Niklas Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität (1968), Stuttgart 2000, S. 24). 

 

 

Auszug aus: Eike Wenzel: Das neue grüne Zeitalter. Wie der Green New Deal unsere Art zu leben radikal verändern wird, München 2021.