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Agrarforst und Algorithmen: Was die Landwirtschaft der Zukunft braucht

Das Ergebnis der Bundestagswahl entscheidet auch über eine Wende in der Landwirtschaft. Damit sie gelingt, müssen Ökologie und Hochtechnologie Kräfte bündeln.

 

Es gibt viele naturbasierte Verfahren, Kohlendioxid (CO2) in den Ackerboden einzubringen: Abfälle unterpflügen, geringe oder gar keine Bodenbearbeitung, Änderung der Fruchtfolge, Agroforstwirtschaft und noch einiges mehr. CO2-Sequestrierung ist in der Tat ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen den Treibhauseffekt.

 

Ihr günstiges Mikroklima vermag darüber hinaus die Ertragsstabilität der Betriebe zu steigern und erhöht die Vielfalt an Strukturen und Habitaten, was lokal der Artenvielfalt zugutekommt. Weniger Dünger und Pflanzenschutz verbessern außerdem die Energiebilanz bewaldeter Agrarflächen.

 

Das ist alles im Grunde nichts Neues. Jahrhundertelang waren Forst- und Landwirtschaft eng miteinander verzahnt. Erst mit der Entwicklung von Traktoren und Mähdreschern vor wenigen Jahrzehnten hat sich das geändert. Je größer die Ackerflächen wurden, desto mehr Bäume verschwanden von den Feldern.

 

Wer aber Agroforstsysteme kultiviert, der erzielt viele Nachhaltigkeitseffekte. Das anfallende Holz lässt sich in Blockheizkraftwerken in grünen Strom umwandeln, der Haus und Hof mit Energie versorgt. Die vom Kleinkraftwerk im Keller abgegebene Wärme kann anschließend zur Heutrocknung genutzt werden.

 

Dagegen wird die sogenannte „regenerative Landwirtschaft“ in ihrer CO2-absorbierenden Wirkung überschätzt und dient vor allem Greenwashing-Versuchen von Großkonzernen. Die Agrarexpertin Andrea Beste stellt klar: „(Landwirtschaft) ist (...) nicht der Klimafilter für Verschmutzer wie Kohlekraftwerke oder den Verkehr. Viel wichtiger als so ein Ablasshandel ist es, unsere Produktionsweisen dem längst eingetretenen Klimawandel anzupassen.“

 

Technik und Nachhaltigkeit gehen Hand in Hand

 

Am anderen Ende des Spektrums einer nachhaltigen landwirtschaftlichen Modernisierung stehen Hightech-Entwicklungen bis hin zur Künstlichen Intelligenz und der Roboterisierung.

 

Um dem Klimawandel zu begegnen, sollten wir mehr landwirtschaftliche Frühwarnsysteme an den Start bringen. Mindestens ein Viertel der Missernten ließe sich durch verbesserte Wetterprognosen verhindern.

 

Zwei Zahlen dazu: Weltweit werden nach wie vor 70 Prozent des kostbaren Trinkwassers in der Landwirtschaft verbraucht (den Löwenanteil daran machen die rückständigen Farmen in Afrika und Asien aus). Und laut US-Landwirtschaftsministerium sind sage und schreibe 90 Prozent der Missernten auf Wetterphänomene wie Stürme und Trockenheit zurückzuführen.

 

Mittels autonomer Bewässerungssysteme lassen sich in der Landwirtschaft drei Viertel des Wassers einsparen. Künstliche Intelligenz entscheidet ab jetzt auch in der Landwirtschaft mit.

 

Wie groß die möglichen Einsparungen durch den Einsatz von digitaler Technologie ausfallen können, demonstriert das israelische Start-up Tevatronic. Es hat ein autonom funktionierendes Bewässerungssystem entwickelt. Dabei nimmt Künstliche Intelligenz dem Menschen die Entscheidung darüber ab, wann, wo und wie stark ein Feld bewässert werden soll. Die Daten dafür liefern unzählige Sensoren im Ackerboden.

 

Die Präzisionslandwirtschaft könnte auch Probleme auf dem von Saisonkräften geprägten Arbeitsmarkt lösen. In den USA, wo der Fachkräftemangel in der Landwirtschaft mittlerweile chronisch ist, wird bis Ende des Jahrzehnts ein Viertel der händeringend gesuchten Mitarbeiter fehlen.

 

Nahezu überall auf der Welt funktioniert die Landwirtschaft als saisonal geprägter Arbeitsmarkt, auf dem niedrige Löhne für harte Arbeit gezahlt werden. Automatisierungslösungen wie der FarmBot40 (entstanden in einem britischen Open-Source-Landwirtschaftsprojekt) helfen dabei, den Personalmangel zu lindern. Die Ernteroboter sind schon jetzt im Einsatz und arbeiten – wer hätte es gedacht – schneller und gründlicher, spüren jedes Unkraut auf, sind die günstigeren Hilfskräfte und stehen rund um die Uhr zur Verfügung.

 

Wie KI die Landwirtschaft klimaresistent macht

 

Verschiedene Anwendungen der Künstlichen Intelligenz, insbesondere die Bilderkennung, bergen ebenfalls großes Potenzial. Bilderkennungsverfahren gestatten es, mittels Drohnen oder selbstauslösender Kamerafallen eigenständig Bild-, Video- oder Tonmaterial von Tieren zu erstellen und Tiere automatisch zu identifizieren.

 

Die so gewonnenen Daten werden unser Wissen über die Lebensräume von Tieren revolutionieren, aber auch dabei helfen, zielgerichtetere Schutzmaßnahmen für gefährdete Tierarten zu ergreifen und die Wilderei zu bekämpfen.

 

Erhöhte Informationstransparenz bei der Nahrungsmittelerzeugung, vor allem in der Tierhaltung, könnte die Absatzchancen für Landwirte verbessern. Künstliche Intelligenz macht die Landwirtschaft ökologischer und effizienter und liefert gleichzeitig Anregungen für neue digitale Geschäftsideen.

 

Wie wir sehen, sind die technologischen Möglichkeiten für eine transformative Landwirtschaft in Hülle und Fülle vorhanden. Es kommt jetzt darauf an, Technologien in globalem Maßstab auszurollen. Nach wie vor wird die Hälfte der wichtigsten Nahrungsmittel von kleinen und mittleren Betrieben produziert.

 

Das sollte idealerweise so bleiben. Dafür müssen diese Betriebe jedoch in ihrem Streben nach nachhaltiger Produktion unterstützt werden. Zugang zu Technologien aus dem Precision Farming hält den agrarischen Mittelstand konkurrenzfähig.

 

Regierungen und Technologieanbieter müssen hier enger zusammenarbeiten, um eine digital-nachhaltige Landwende umzusetzen, von der alle profitieren.

 

Zuerst erschienen in Handelsblatt, 6. August 2021