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Kontaktarmut und sinkende Hirnaktivität: Das Homeoffice ist nicht die Zukunft der Arbeit

In einer aktuellen Umfrage, die von dem US-amerikanischen Kooperations-Plattformanbieter Slack in Auftrag gegeben wurde, äußerten sich Angestellte aus sechs Ländern positiv bis begeistert zum Homeoffice. Lediglich zwölf Prozent der Befragten wollten in die Arbeitswelt von vor Corona zurückkehren. Natürlich muss man die Zahlen einordnen: Ein Unternehmen wie Slack verdient beim digitalen Aufschwung der Arbeitswelt ordentlich mit.

 

Und wie wir wissen, hat sich Corona ja auf vielen Gebieten der Digitalisierung als Trendbeschleuniger erwiesen. Trifft das also auch für unsere Arbeitswelt zu?

 

Werden wir künftig (fast) alle von zu Hause aus arbeiten? Unterstimulierte Mitarbeiter im Jogginganzug am verklebten Küchentisch, die Kinder bei der Zoom-Konferenz mit dem Chef auf dem Schoß, ist das jetzt New Work?

 

Keine Frage, speziell die Kinderversorgung lässt sich durch das flexible Arbeiten von zu Hause aus besser koordinieren. Nicht zu reden von Einkäufen, die erledigt, und Handwerker, die gebrieft werden müssen. Arbeiten zu Hause, so bestätigen Umfragen, verheißt zudem, dass man sich den Wellen von Kreativität und Entspannung hingeben kann, ohne eine Rüge vom Vorgesetzten erwarten zu müssen.

 

Doch Forscher der University of California haben herausgefunden, dass der Lockdown und damit einhergehend das wenig aufregende Bewohnen der eigenen vier Wände bei vielen Menschen auch zu Gedächtnisverlust und Vergesslichkeit geführt hat. Kontaktverarmung und eintönige Tage senken offenbar die Hirnaktivität. Und gerade jetzt verkünden Weltunternehmen wie Siemens, Facebook oder Twitter, dass sie ihre Mitarbeiter am liebsten nur noch im Homeoffice sehen möchten.

 

Das Homeoffice ist der Tod der Unternehmenskultur

 

Für Großbritannien hat PricewaterhouseCoopers jährliche Umsatzeinbußen von fünf Milliarden Euro allein dafür prognostiziert, dass die Büroangestellten während der Bürozeiten nicht mehr in den Innenstädten konsumieren, sondern im Homeoffice sitzen.

 

Im Vereinten Königreich, das europaweit augenblicklich die meisten Mitarbeiter ins Homeoffice gebeten hat, werden erste Konzepte erörtert, wie die Innenstädte umgebaut werden können. Die Wertschöpfungsketten um die Arbeitswelt werden neu geknüpft, wenn weltweit rund 300 Millionen Menschen täglich auf Zoom, Microsoft Teams, Google Meet und Cisco Webex unterwegs sind.

 

Ist das also jetzt New Work, die schöne neue Arbeitswelt, von der alle reden, niemand aber sagen kann, was sie genau bedeutet? Die Homeoffice-Evangelisten machen einen zumindest misstrauisch. Denn die Unternehmen könnten durch die Isolierung der Mitarbeiter im Homeoffice wichtiges kulturelles Kapital verlieren. Das Büro kann nämlich eine Brutstätte für kluge Ideen sein und kluge Ideen sind fast immer das Ergebnis kollektiver Prozesse, einer im Idealfall unverwechselbaren Kultur, die Neues und Wertvolles oftmals hervorbringt, wenn es gar nicht beabsichtigt wurde.

 

Das Homeoffice verstärkt den gesellschaftlichen Trend zur Vereinzelung. Arbeiten in den eigenen vier Wänden sabotiert Teamgeist und Solidarisierung, die Möglichkeit, dass Kollegen sich zusammenfinden, Erfahrungen austauschen und Missstände benennen können. Die Singularisierung (bei gleichzeitiger (Daten-)Kontrolle durch den Computer) im Homeoffice spricht Arbeitgebern wie Facebook und Google zweifellos auch deswegen aus der neoliberalen Seele, weil Solidarisierungseffekte dadurch unterbunden werden.

 

Das Homeoffice, wie wir es im Herbst 2020 leben, hat jedenfalls mit visionären neuen Arbeitswelten so gut wie gar nichts zu tun. Die viel beschworene „Gamification des Arbeitserlebnisses“ ist angesichts von klaustrophobischen Videokonferenzen jedenfalls noch stark verbesserungswürdig.

 

Schlaue Onlinewerkzeuge wie Qube stehen erst am Anfang. Nach einer spontanen Euphoriewelle (vor allem seitens der Arbeitgeber) reift deshalb allmählich die Erkenntnis, dass durch das Homeoffice nicht nur die spontane Ideenfindung im Kollegenkreis verloren geht, sondern auch der Kontakt zum Kunden leidet. Die Vereinzelung des Mitarbeiters könnte überdies zur Versteinerung von Hierarchien beitragen, wenn das Ökosystem Büro vorschnell aufgegeben wird.

 

Klar ist aber auch, dass sich das Rad nicht mehr zurückdrehen lässt. Laut Morgan Stanley müssen Metropolen von mindestens zehn Prozent Leerstand bei Büroflächen nach der Pandemie ausgehen. Verkehrsbetriebe, Restaurants, Tankstellen und der Einzelhandel werden ebenfalls beträchtliche Verluste durch den Rückzug, zumal der Gut- und Besserverdiener, in die eigenen vier Wände hinnehmen müssen. Ob davon im Gegenzug der Onlinehandel langfristig profitiert und es weitere Hochkonjunkturen für Küchenmaschinen und Fertigbackmischungen gibt, darf bezweifelt werden.

 

Büros werden als Netzknoten neu erfunden

 

Das Büro wird definitiv nicht sterben. Es wird jedoch – nachdem IBM die „Deterritorialisierung des Arbeitsplatzes“ bereits in den 1990ern ankündigte – um seine Nutzer mit zusätzlichen Anreizen kämpfen müssen. Das Büro der Zukunft muss optionaler werden, einen multifunktionalen Netzknoten (neudeutsch „Hub“) darstellen, ansonsten verliert es tatsächlich seine Daseinsberechtigung.

 

Gegen die überstürzte Abschaffung des täglichen Büros spricht auch die Gefahr der Entstrukturierung unseres Lebens. Wenn der Job auch noch die eigenen vier Wände in Beschlag nimmt, bleiben praktisch keine Rückzugsorte ins Private mehr.

 

Zudem produziert das Homeoffice spezifischen Stress: Arbeiten von zu Hause aus geht gerade hierzulande offenbar auch nicht selten mit versteckten Schuldgefühlen einher. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sammeln Mitarbeiter im Homeoffice nahezu doppelt so viele Überstunden an wie im Büro.

 

Die Arbeit der Zukunft ist dreigeteilt

 

Homeoffice hin oder her, „Zoom fatigue“, eingebildet oder real. Nach wie vor funktionieren unsere Angestelltenjobs so, dass sich die meisten Mitarbeiter zu engmaschig kontrolliert fühlen und wenig Aussicht auf Weiterentwicklung verspüren.

 

Wenn wir die Arbeitswelt wirklich verändern wollen, sollten wir damit beginnen, dieses Menschenbild zu hinterfragen. Mit durchschnittlich sechs bis acht Hierarchiestufen muss sich ein Angestellter laut einer Erhebung des Harvard Business Managers in den USA auseinandersetzen. Und rund ein Drittel seiner Arbeitszeit (27 Prozent) bringt er damit zu, Vorgänge zu dokumentieren und Protokolle anzufertigen.

 

Wir sollten also das Homeoffice nicht mit dem Konzept von New Work verwechseln, wie es von Frithjof Bergmann bereits in den 1970er-Jahren entwickelt wurde. Bergmann ist der Urheber des New-Work-Gedankens. Doch was Bergmann als Prophet forderte, wurde noch nie eingelöst: Arbeit im Sinne einer Tätigkeit, die dem Einzelnen wirklich etwas bedeutet.

 

Wir glauben, dass erfülltes Arbeiten in den kommenden Jahren in einer Dreiteilung aufgehen könnte: Erstens, als notwendige Erwerbsarbeit im Unternehmen (und im Büro). Zweitens, als Arbeit für die Zivilgesellschaft, worunter auch bezahlte Pflegearbeit innerhalb der Familie fallen würde und drittens, als das Verfolgen eigener „Wachstumsprojekte“. Das Geld für diese wirklich neue Arbeitswelt könnte aus der Besteuerung von CO2 und von Automatisierungsgewinnen kommen.

 

Zuerst erschienen in Handelsblatt, 24. November 2020