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Corona und ein neues Momentum für die Energiewende

Der Kampf gegen das Außerkontrollegeraten des Klimawandels ist der Kampf um ein neues Energiesystem. Seit die EU in den 2000er Jahren mit der Förderung der erneuerbaren Energien begann, hat sich vieles verändert, ein alternatives Energiesystem ist möglich, doch die Zeit drängt. In den vergangenen Monaten (teilweise auch beschleunigt durch die Corona-Pandemie) hat sich ein neues Momentum für den nächsten Schritt in der Transformation unseres Energiesystems gebildet, das wir nutzen sollten.

 

 Mittlerweile leben zwei Drittel der Weltbevölkerung in Ländern, in denen erneuerbare Energien den günstigsten Strom liefern. Die Zeichen für eine weltweite Energie-Transformation, die radikaler ist als alles, was in der Menschheitsgeschichte bislang auf dem Energiesektor geschah, stehen günstig. 

Der Rückgang der CO2-Emissionen könnte in diesem Jahr bedingt durch die Corona-Krise zwischen fünf und sieben Prozent liegen. Mit dieser Schätzung stützen wir uns auf die eher konservativen Zahlen der International Energy Agency (IEA), die die Erfolgsgeschichte der Erneuerbaren seit Jahren unterschätzt. Ähnlich konservativ schätzt die IEA, dass – vorausgesetzt die Energiepolitik agiert auf dem Stand von heute – der Bedarf an fossilen Energien bis ins Jahr 2040 weltweit noch einmal um 30 Prozent ansteigen wird. Michael Liebreich von BloombergNEF geht dagegen von einem Höhepunkt der fossilen Energieträger schon in den kommenden Jahren (zwischen 2023 und 2025) aus. 

 

Kommt nach Corona Peak Oil?

Alle Prognostiker treibt momentan jedoch die Frage um, was passiert wenn die Corona-Pandemie der Bruch zur rechten Zeit war, der bei allen Akteuren den Entschluss reifen lässt, das Zeitalter der fossilen Energien zu beenden. Zumal ein Tipping Point für die Erneuerbaren in diesem Jahr ohnehin ansteht: Wind und Sonne avancieren in 2020 in den USA zur Nummer eins in der Energieproduktion und lösen die klimaschädliche Kohleverbrennung ab.

 

Der Finanzmarkt hat die Dringlichkeit beim Thema Klimawandel dann doch noch erkannt und die niedrigen Zinsen werden in den kommenden Jahren weiterhin dazu beitragen, dass erneuerbare Energien mit Zuwachsraten installiert werden können. Doch was das Momentum für einen postfossilen Aufbruch in 2020 eigentlich perfekt macht, ist die Tatsache, dass der Markt der Elektrofahrzeuge endlich anzuspringen beginnt (und das Betreiben von Verbrennungsmotoren deutlich teurer wird), so dass auch Peak Oil zu einem realistischen Szenario wird. Eine offene Frage bleibt, ob das durch Corona notwendige Arbeiten von Zuhause tatsächlich Teil eines Lebensstils in den Industrienationen wird. Fahrten zur Arbeit machen laut „Economist“ immerhin acht Prozent des weltweiten Ölverbrauchs aus. Zwei Prozent des Ölverbrauchs entfällt übrigens auf den globalen Flugverkehr; auch hier muss demnächst die Frage beantwortet werden, ob man aus Klimagründen beispielsweise Inlandsflüge einschränkt und aus Airlines Mobilitätsdienstleister macht, die womöglich auch in Bahngeschäft einsteigen, wie es gerade die Air France angekündigt hat

 

Bislang waren Erneuerbare ohne staatliche Subventionen nicht vorstellbar. Die Entscheidung für Erneuerbare fiel in der Regel dann, wenn andere Energieträger dysfunktional wurden. So zu beobachten, als 2011 in Japan ein Tsunami das Kernkraftwerk Fukushima Daiichi beschädigte und die Gefahr einer nuklearen Katastrophe heraufbeschwor. Die bundesdeutsche Regierung um Angela Merkel reagierte mit dem angekündigten Ausstieg aus der Kernenergie. Im Verlauf der 2010er Jahre wurde jedoch der aus Erneuerbaren gewonnene Strom immer günstiger, was nicht zuletzt dadurch möglich wurde, dass Deutschland staatlicherseits relativ kontinuierlich in regenerative Energien investierte und dabei Infrastrukturen aufbaute, die jetzt dazu beitragen, dass der Preis für Erneuerbare schier unaufhaltsam sinkt. In den 2010er Jahren fielen die Gestehungskosten (Preis für Geräte, Verfahren etc. zur Produktion einer Kilowattstunde Strom) für Solarenergie laut BloombergNEF um 87 Prozent, für Offshore Wind um 62 Prozent und für die Winderzeugung an Land um 58 Prozent. 

 

Und die Preise fallen weiter. Laut der International Renewable Energy Agecy (IRENA) können die Photovoltaik-Preise für Projekte, die 2021 in Betrieb gehen, durchschnittlich auf 0,039 US-Dollar pro Kilowattstunde beziffert werden. Dies ist mehr als ein Fünftel günstiger als der billigste Konkurrent im Bereich fossiler Brennstoffe zu bieten hat, nämlich Kohlekraftwerke. Auktionspreise für Photovoltaik auf Rekordtief in Abu Dhabi und Dubai (VAE), Chile, Äthiopien, Mexiko, Peru und Saudi-Arabien bestätigen, dass schon jetzt Preise von bis zu 0,03 US-Dollar pro Kilowattstunde möglich sind.  

 

Staatskredite haben auch Tesla auf die Beine geholfen

Der Solarinvestor Ramez Naam geht davon aus, dass spätestens im Jahr 2030 die Erzeugung von Solarenergie in allen südlichen Ländern unangefochten die günstigste Energieform sein wird, auch wenn man dem fossile Energieträger wie Kohle, Öl oder Gas entgegenhält, die mit bereits vorhandenen und abgeschriebenen Kraftwerken ihren Strom erzeugen. 

 

Um dem 2-Grad-Ziel der Pariser Klimakonferenz (2015) gerecht zu werden, braucht es jetzt eine konsequente und beschleunigte Weiterentwicklung in Richtung einer komplett von fossilen Energieträgern unabhängigen Welt. Im Jahr 2019 beliefen sich die Investitionen in erneuerbare Energien auf insgesamt 250 Milliarden US-Dollar. Die großen Öl- und Gasunternehmen investierten im gleichen Zeitraum jedoch doppelt so viel in die Gewinnung fossiler Brennstoffe. 

 

Regierungsentscheidungen bestimmen etwa 70 Prozent der weltweiten Energieausgaben. Während der Finanzkrise 2007 bis 2009 floss ein Achtel des American Recovery and Reinvestment Act (ARRA) – rund 90 Milliarden US-Dollar - in Kredite und Investitionen für saubere Energie. Einer der Kredite half beispielsweise bei der Finanzierung von Teslas erster Autofabrik. Regierungen müssen auch jetzt noch mehr tun, wenn sie den Klimawandel begrenzen wollen. Sie müssen die Vorreiter spielen und den Trend setzen. Anreize für die Privatwirtschaft gibt es bekanntlich, denn längst ziehen sich große Investoren aus den fossilen Energien zurück, aus Angst vor einer „Öl- bzw. Kohlenstoffblase“, die sich bilden könnte, wenn die teure Erdöl- und Erdgasproduktion nicht mehr rentabel ist. Das wird bis spätestens 2030 der Fall sein, dann werden die fossilen Industrien ein ganz eigenes Problem darstellen, da niemand mehr etwas mit ihren teuren und umweltschädigenden Gerätschaften anfangen kann.