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Werden unsere Gesellschaften jetzt (endlich) digitaler?

Corona-Virus, Ausgangssperren – unser Gemeinwesen kommt an seine Grenzen. Wir müssen aufpassen, dass dabei nicht auch unsere demokratische Kultur zerstört wird. Die Digitalisierung wird hierbei in den kommenden Jahren einen wichtigen Beitrag leisten. Nicht nur, um uns in der Ausnahmesituation die Zeit zu vertreiben, sondern auch so, dass demokratische Institutionen in der Krise wahrnehmbar und ansprechbar sind. Ein paar Beispiele dafür aus Staatskrisen der vergangenen Jahre

Unsere Demokratien befinden sich schon länger in einer fundamentalen Glaubwürdigkeitskrise. Erste Anzeichen (sinkende Wahlbeteiligung) lassen sich auch in Europa und auch in Deutschland bereits Ende der 1980er Jahre finden. Die rechtspopulistische Aggression, Entfremdung zwischen politischem System und der Wählerschaft, sowie der Siegeszug der SocialMedia haben diese Krise weiter verschärft.

 

Wie kann verlorenes Vertrauen wieder zurückgewonnen werden? Gibt es möglicherweise technische Ansätze, die neue Bindungsenergien zwischen Wähler und Politik erzeugen?

Island: Neues Vertrauen nach der Bankenkrise

Island hat 2008, im Jahr der Weltwirtschaftskrise, das digitale Portal Your Priorities aufgebaut. Zu dem Zeitpunkt stand das kleine Land (insgesamt 357.000 Einwohner) finanziell mit dem Rücken zur Wand, nahezu das gesamte Volk ging gegen die Politik auf die Barrikaden. Island war besonders von der 2007 ausgebrochenen Finanzkrise betroffen. Die drei größten Banken des Landes hatten sich durch starke internationale Verflechtungen als besonders krisenanfällig erwiesen, weshalb die isländische Regierung Anfang Oktober 2008 die Verstaatlichung des gesamten Bankensektors beschloss. Mit Your Priorities stellte Island wieder das Vertrauen in Politik und Wirtschaft her. Über das Portal wurden landesweit Hilfsprojekte und Verbesserungsvorschläge entwickelt, so dass sich bereits 2010 die Lage deutlich verbesserte und Vertrauen in Politik und Wirtschaft nicht komplett verloren ging.

Estland: Gesetze mit und für das Volk

2012 hat das internetaffine Estland mit Rahvakogu („Bürger-Assembly“) den Prozess einer Gesetzesänderung via Crowdsourcing beraten. Ähnliches funktionierte in den 2010er Jahren auch in Ländern wie Italien, Frankreich, Brasilien, Spanien und Großbritannien.

Taiwan: Einsicht in die Notwendigkeit digitaler Demokratie:

Demokratie mit digitalen Werkzeugen neu erfinden

Quelle: gOw.tw
Quelle: gOw.tw

Doch vielleicht nirgendwo waren die digitalen Demokratiewerkzeuge für die Zukunft eines Landes so wichtig wie 2016 in Taiwan. Taiwans „Civic-Hacker“ begannen zu der Zeit mit der Entwicklung von pol.is, das Kommentare zu Gesetzesänderungen und -initiativen zu kommentieren erlaubt. In Taiwan wurde mittels dieses Instruments nicht nur diskutiert, sondern handfeste Politik gemacht: Die Kommentare und Verbesserungsvorschläge mit der größten Zustimmungsrate wurden hervorgehoben und von der politischen Führung nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern sie flossen in direktes Regierungshandeln ein. Audrey Tang war eine der Mitbegründerinnen der Civic-Hacker-Bewegung, sie ist mittlerweile zu Taiwans Digitalministerin aufgestiegen, vielleicht einer der größten Erfolge von pol.is. Tang hat es sich zu ihrem vordringlichsten Ziel gemacht, dass politische Institutionen in Taiwan die Transparenzgrade und die Direktheit des Internets erlangen. Nur so lasse sich verhindern, dass politische Entscheidungen in Zeiten des Megatrends Digitalisierung zu einer Nebensächlichkeit würden.