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Warum uns Künstliche Intelligenz in dieser Pandemie (noch) nicht hilft

Künstliche Intelligenz liefert interessante Vorhersagesysteme, die schon heute Supermarktmanager bei der Bestückung der Regale zuverlässig unterstützen. Doch bei der Corona-Pandemie wird Künstliche Intelligenz nur eine Nebenrolle spielen. Es gibt schlicht noch zu wenig Realzeit-Informationen und Gesundheitsdaten. Wichtiger ist, dass in den kommenden Wochen unser Sozialsystem funktioniert – und dafür müssen wir alle sorgen.

Angeblich wurde der Corona-Virus am 30. Dezember 2019 zuerst von Künstlicher Intelligenz (KI) entdeckt. Das Unternehmen BlueDot, das auf Basis von maschinellem Lernen den Ausbruch von Epidemien weltweit beobachtet, reklamiert zumindest für sich, den Ausbruch der Corona-Epidemie in Wuhan frühestmöglich beobachtet zu haben. BlueDot verständigte umgehend Kliniken, Gesundheitsbehörden und Unternehmen über ungewöhnlich hohe Fälle von schwerer Lungenentzündung in der chinesischen Großstadt. Neun Tage später bestätigte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Existenz des Covid-19-Erregers.

 

Vieles ist grundsätzlich vorstellbar, wenn es um die Einsatzorte von Künstlicher Intelligenz bei der aktuellen Pandemie geht. Sowohl bei der Vorhersagbarkeit des Corona-Verlaufs wie bei der Entwicklung von Tests und Medikamenten könnte KI eine wichtige Rolle spielen. Es scheitert zurzeit nicht an den technologischen Möglichkeiten, sondern am Faktor Zeit – Zeit, die es erlaubt, KI mit Informationen zu füttern und ihre Ergebnisse den Entscheidungsträgern in Forschung und Politik zur Verfügung zu stellen.

 

Aber auch dann, so muss man die Äußerungen der KI-Akteure im Moment verstehen, sollten keine Wunderdinge erwartet werden.

Identifikation von Corona problemlos – Handlungsanweisungen spuckt KI nicht aus

Die Früherkennung des Corona-Ausbruchs funktionierte, denn auch andere Monitoringsysteme wie HeatMap, ein automatisiertes Überwachungssystem in einer Bostoner Kinderklinik, sowie ein auf künstlicher Intelligenz aufbauendes Modell des in San Francisco beheimateten Unternehmens Metabiota meldete den Ausbruch.

 

Allein, die frühzeitige und treffsichere Ortung des fatalen Geschehens in Wuhan konnte den Menschen vor Ort nicht verraten, was zu tun ist und in welchem Zeitraum Maßnahmen ergriffen werden müssen. Teams von Forschern in Wuhan hielten überdies entgegen, den Ausbruch von Corona zur gleichen Zeit wie die Algorithmen der Künstlichen Intelligenz diagnostiziert zu haben. Die Beobachtung der Ausbreitung der Epidemie half indes nicht dabei, Tests für die ersten Erkrankten herbeizuschaffen.

 

Das rührt an ein grundsätzliches Problem der KI. Maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz sind nur so gut wie die Information, die man in sie hineinsteckt. Um den Ausbruch der Epidemie zu verhindern, hätten auch in China bessere Daten zur Verfügung gestellt werden müssen, persönliche und geschützte Informationen, die selbst dort nicht einfach zugänglich zu machen sind.

Quelle: "Künstliche Intelligenz Von der Strategie zum Handeln", Bitkom, 27. November 2018
Quelle: "Künstliche Intelligenz Von der Strategie zum Handeln", Bitkom, 27. November 2018

Deshalb ist es unbestritten, dass Künstliche Intelligenz bei der Lösung der aktuellen Corona-Krise kaum etwas beitragen wird. Sie beschleunigt nicht die Herstellung von Tests und zaubert auch keinen Impfstoff herbei. Ein kleiner Erfolg für die KI in der Frühphase der Ausbreitung: Die Algorithmen von BlueDot und Metabiota, aufgebaut auf Spracherkennungssystemen (NLP, Natural Language Processing), die gigantische Mengen an Nachrichten, Gesundheitsstudien und Diagnosen in unterschiedlichen Sprachen durchkämmen, sagten bereits Ende Februar ziemlich genau die weitere Ausbreitung des Virus in Asien, in den Iran, nach Italien und in die USA voraus. Algorithmen des Unternehmens Stratifyd  werten mit erstaunlicher Präzision mittlerweile auch Posts in den Socialmedia aus und erlauben kurzfristig solide Vorhersagen.

Alles das liefert aber nur bescheidene Erkenntnisse über die weitere Ausbreitung von Corona, die in wenigen Tagen über mehrere Kontinente stattfand. Dafür lagen auch für die schnelldenkenden Algorithmen schlicht keine Daten vor, die dabei hätten helfen können vorherzusagen, wo und mit welcher Geschwindigkeit das Virus in den kommenden zwei oder drei Tagen eine Region angreift. Wer erwartet hatte, dass mittels Künstlicher Intelligenz die Virenausbreitung in Realzeit beobachtbar und eindämmbar wäre, wurde enttäuscht.

Wie lässt sich der Staat mit KI koppeln?

Es ist im Grunde trivial festzustellen, was einer besseren Analyse der aktuellen Situation im Wege steht: präzisere Daten, tiefere Gesundheitsdaten, internationale Daten, Einblick in von offizieller Seite zurückgehaltene Informationen – auch in China, das ansonsten alles tut, um die eigene KI mit „Volksdaten“ zu versorgen.

 

Ein bekanntes Problem: Künstliche Intelligenz kann bereits die Technologien vorhalten, um mittels Daten bessere Prognosen zu erstellen. Künstliche Intelligenz, davon sind die Akteure überzeugt, könnte auch versteckte Hinweise, „weak signals“ zutage fördern – die Schlussfolgerungen müssen dann allerdings Experten ziehen. Um mit diesen Technologien zeitnah helfen zu können, nutzt es seitens der Unternehmen nichts, mehr Datentransparenz zu fordern. Umgekehrt müssen die Unternehmen den Epidemiologen und politischen Entscheidungsträgern umgehend nutzbare KI zur Verfügung stellen.

 

Ein weiteres Hindernis, das sich in den vergangenen Tagen einstellte, betrifft ebenfalls den Faktor Zeit: Ja, KI kann dabei helfen, Anzeichen von Corona in Patienten nachzuweisen, jedoch kann der Nachweis nicht bei Patienten im Frühstadium der Erkrankung gemacht werden. Von der Bilderkennungssoftware von Image Net, dem zurzeit alltagstauglichsten Werkzeug dafür, ist nach Experteneinschätzung wohl keine brauchbaren Erkenntnisse in absehbarer Zeit zu erwarten.

 

Kann KI bei der Entwicklung von Corona-Medikamenten behilflich sein? SRI International macht hier Hoffnung. Mittels Algorithmen könnten den Forschern zumindest prüfbare Wirkstoffkandidaten vorgelegt werden, doch auch hier ist von Monaten die Rede, also kein Zeitvorsprung gegenüber der aktuellen Spitzenforschung in Aussicht.

 

Es bleibt dabei: Bei der Bekämpfung der Pandemie sind wir vor allem als funktionierende Gesellschaft gefragt: Social Distancing und Solidarität muss bei allem, was wir in den kommenden Wochen tun, im Vordergrund stehen. Das Virus ist geduldiger als wir, und wir müssen Geduld und Leidensfähigkeit lernen.

 

Das Wettrennen um ein Medikament ist in vollem Gange. Optimisten wie SAP-Gründer Dietmar Hopp rechnen schon im Herbst damit. Die Mehrheit der Experten geht davon aus, dass die Forschung zwölf bis 18 Monate braucht. Wirkstoffe, die die Krankheitssymptome von Corona senken, sollten aber schon früher verfügbar sein.