Ein Aufbruch in die digital-nachhaltige Moderne ist möglich. Wir müssen schnellstens die Grundlagen dafür schaffen. Statt Uber und AirBnB brauchen wir digitale Gemeinwohl-Portale, die die Netzwerkeffekte im Sinne sozial-ökologischer Innovationen fruchtbar machen. Fest steht: Sollen Energie-, Mobilitäts-, Wärme- und Konsumwende gelingen, müssen wir lernen, wie wir nachhaltig-kreativ mit der Digitalisierung umgehen.
Keine Frage, die Entwicklungen der Digitalisierung in den vergangenen Monaten (Wahlkampfbeeinflussung des russischen Geheimdienstes via Twitter und Facebook, Apokalypseängste gegenüber Künstlicher Intelligenz, befürchtete Verknechtung der Menschheit durch Robotik etc.) machen es nicht leicht, Argumente für einen Zukunftsentwurf zu finden, bei dem die Digitalisierung eine entscheidende Rolle spielt. Zu sehr sind wir erschrocken davon, wie weit Facebook die Wahrnehmung von Politik und Weltgeschehen durch Bots und Fake News manipuliert hat. Zuckerberg hat ein kommunikatives Beast geschaffen, einen soziokulturellen Homunculus, der nach wie vor weitestgehend unreglementiert Meinungen steuert und Weltsichten verzerrt und nach außen hin doch angeblich nur dazu gedacht war, „die Menschen näher zusammen zu bringen“.
Von der digitalen Utopie zum Monopol
Die Frage, die sich also stellt: Haben wir das Internet bereits aufgegeben oder gibt es Wege, mithilfe der Digitalisierung nachhaltige Wertschöpfung zu entwickeln? Das Internet, eigentlich ein vorzügliches Instrument der Dezentralisierung und Transparenz, der Teilhabe und Demokratisierung, hat in seiner jüngsten Geschichte vor allem Monopole hervorgebracht. Um dem entgegenzuwirken, muss es vor allem in seiner dezentralen und partizipativen Form neu entdeckt und zu Ende gedacht werden. Steffen Lange und Tilmann Santarius haben brillant beschrieben, wie ein tiefes Verständnis von Dezentralisierung entscheidende Ideen dafür liefern kann. Und bei genauerem Hinsehen wissen wir eigentlich alle, dass wir ohne einen Pakt mit dem Digitalen bei der Bewältigung der großen Megatrend-Themen (Klimawandel, Energiewende, demografischer Wandel, Mobilitätswende, Neourbanisierung, multipolare Weltordnung, Future Food) nicht einen Schritt weiterkommen. Schauen wir also ausnahmsweise einmal nicht gebannt auf den neuesten Gimmick und die neueste Apokalypse-Phantasie aus der futuristischen Asservatenkammer der Künstlichen Intelligenz (dargeboten wahlweise von Elon Musk oder Stephen Hawking), sondern kümmern wir uns um die nachhaltigen Modernisierungspotenziale, die aktuell bereits in der Digitalisierung wahrnehmbar sind.
Fünf Trends und Tendenzen werden hier in den kommenden Jahren wichtig:
1. Rechtliche Voraussetzungen
Datenmissbrauch regulieren, Steuergesetze ändern Um es vorweg zu sagen: den Weg ist kein leichter. Wenn wir die Digitalisierung als entscheidenden Megatrend für eine Zukunftswelt verstehen, die mehr dem Gemeinwohl als der Profitmaximierung verpflichtet ist, dann muss vor allem der Umgang mit den Daten in den kommenden Jahren komplett überarbeitet werden. Facebook und Google, die sich als Retter der Welt gerieren, sind Werbekonzerne, die über mobiles Online-Targeting eine hyperpersonalisierte und hochgradig manipulative Kundenansprache ermöglichen. Dabei koppeln sie fröhlich Daten, die sie eigentlich nicht verknüpfen dürfen. Sie (und die Mehrheit der anderen Internetgiganten) verwenden unsere Nutzerdaten (und die Daten unserer Nutzerfreunde), um ihren Werbekunden ein noch präziseres Profiling zur Verfügung zu stellen. Zwar haben erste Konzerne gedroht, aus der Facebook-Targeting-Werbung auszusteigen. Zwar muss sich Google mit EU-Strafen und daraus resultierenden Gewinneinbußen in Milliardenhöhe auseinandersetzen. Doch die fragwürdigen Geschäftsmodelle von Facebook, Google et. al. werden vom Gesetzgeber nach wie vor dadurch gestützt, dass die Unternehmen europaweit praktisch keine Steuern zahlen müssen. 2014 hat Apple in Irland auf seine europäischen Gewinne gerade einmal 0,005 Prozent Steuern entrichtet. Google bezahlt für seine Umsätze in Europa nicht mehr als 0,2 Prozent Steuern.
2. Digitale Landwirtschaft muss China aus dem Ernährungs-Dilemma helfen
Gerade bei der Frage, wie wir zukünftig die Menschheit ernähren, brauchen wir die Digitalisierung als kluges Werkzeug, das Prozesse optimiert und automatisiert. Selbst im autokratischen China werden sich durch Zwangsmaßnahmen und totalitäres Durchregieren keine einfachen Lösungen schaffen lassen. Vor 40 Jahren lebten in China gerade einmal ein Viertel der Bevölkerung in Großstädten, 2016 waren es bereits 57 Prozent. Seit 1990 hat sich der Fleischverzehr verdreifacht. Eine weitere Zwangskollektivierung der chinesischen Landwirtschaft würde aufgrund der schwierigen Geografie des Landes keine Vorteile bringen und nur zu sozialen Unruhen führen.
Die harte Nuss, die in China und vielen anderen Ex-Schwellenländern geknackt werden muss, besteht darin, eine neue Mittelschicht satt zu kriegen, die im Reich der Mitte zwischen 1980 und 2017 von quasi null auf 700 Millionen Menschen angewachsen ist. China muss ein Fünftel der Weltbevölkerung ernähren, hat dafür aber nur ein Zehntel der weltweiten Ackerfläche zur Verfügung und wird auch keine großen Flächen mehr hinzugewinnen können, da 20 Prozent der in China verfügbaren Fläche verseucht sind. Digitalisierung muss hier tatsächlich eine disruptive Transformation ins Werk setzen. Die Devise lautet deshalb: weitere extensive Landnutzung durch klugen Technikeinsatz ablösen. urban farming, vertical farming, die forcierte Entwicklung von precision farming im Landbau, der Saatgutherstellung und beim nachhaltigen Umgang mit Schädlingsbekämpfung, das macht eine nachhaltige Zukunft im Land der Mitte bis 2050 möglich.
3. Energiewende 4.0: Digitalisierung macht Erneuerbare zum Zukunftsmarkt
Es ist unbestritten, dass wir die nächste Stufe der Energiewende ohne intelligenten Einsatz von digitalen Instrumenten nicht einleiten können. Das fängt an bei der „flüchtigen“ Eigenschaft der Wind und Solarenergie und endet noch lange nicht bei der individualisierten Nutzung/Produktion = Prosumption des Stroms in den nächsten Jahren. Nur anhand von intelligenten, dezentral nutzbaren Speichern wird es gelingen, die Energiewende zu vollenden. Ein pfiffiges Unternehmen wie die Sonnen GmbH aus dem Allgäu bietet ein cleveres Beteiligungsmodell aus Solar und Energiespeicher bereits an. Mit 22 Prozent Marktanteil ist Sonnen schon Europas größter Anbieter von Energiespeichern. Das Unternehmen aus Wildpoldsried tritt nicht nur als Verkäufer von Energiespeichern und Solarmodulen auf, sondern auch als Stromanbieter.
Für eine Flatrate von monatlich 19,99 Euro liefert Sonnen seinen Kunden den sauberen Strom frei Haus. Wer als Sonnen-Kunde (und Speicherbesitzer) auf den Deal eingeht, erlaubt dem jungen Unternehmen allerdings auch den Zugriff auf den heimischen Energiespeicher, den Sonnen mit einer Community digital verknüpft. Diese Erzeuger-Nutzer-Gemeinschaft existiert bereits in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich werden gerade ähnliche Gemeinschaften aufgebaut. Mit dem niederländischen Stromnetzanbieter Tennet besteht darüber hinaus eine Kooperation, die es den zurzeit 3.000 deutschen Community-Mitgliedern erlaubt, zwischen Nord- und Süd-, Ost- und Westdeutschland Strom beliebig zu tauschen. Alle Mitglieder beziehen Strom aus der Gemeinschaft, der selbstverständlich preisgünstiger ist als Netzstrom. Was das Projekt LO3 Energy in Brooklyn mit der Integration der Blockchain in die Energieproduktion und -nutzung vor Ort beabsichtigt, geht in eine ähnliche Richtung.
4. Mobilitätswende: Die Umstellung auf e-Motoren reicht nicht aus
Für die Verkehrswende brauchen wir die e-Elektromobilität, die nach wie vor – speziell hierzulande – nicht auf Touren kommt. E-Autos allein lösen unser Problem jedoch nicht. Wir müssen Verkehr in Zukunft vernetzt, auf der Basis digitaler Infrastrukturen und autonom fahrend organisieren. Dabei sollten wir nicht Uber oder ähnlichen kommerziellen Portalen das Geschäft überlassen. Wir brauchen eine sukzessive (durch Digitalisierung erst mögliche) Integration von autonomer Mobilität und Öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV). Zehn Prozent unseres Mobilitätsbudgets könnte dann weiterhin aus individueller Mobilität bestehen. Doch die Nachfrage nach PKWs ließe sich dadurch um bis zu 70 Prozent reduzieren, wir wären in einer postfossilen Verkehrswelt angekommen und könnten endlich unsere Städte umbauen. In denen wir dann faktisch auch keine Parkplätze mehr bräuchten und dafür urban und vertical farming weiterentwickeln könnten.
Interessiert sich wirklich jemand für diese grün-utopische Weltverbesserei? Wahrscheinlich nicht die Autobauer, die mit ihren Dickköpfen im 20. Jahrhundert steckengeblieben sind. Aber die Menschen in unserem Land, die durch die neuen Mobilitätsangebote enorm viel Zeit und vor allem – durch die faktische Beendigung der Ära der individuellen Mobilität – enorm viel Geld sparen würden. Mobilität – nicht nur in den Städten – wäre eine kollektive Angelegenheit und würde von Robotaxis und einem modernisierten ÖPNV abgewickelt.
5. Von Uber, Facebook...lernen: Digitale Gemeinwohl-Portale
Und es sind zwei eigentlich sehr alte und bekannte Prinzipien, die durch digitale Runderneuerung zu wichtigen Vehikeln in eine nachhaltige Zukunft werden könnten: Genossenschaften und Regionalisierung. Gelingt es uns, die Plattform-Idee des Silicon Valleys im Sinne der Gemeinwohlidee zu transformieren, beschleunigt Digitalisierung auf einmal Prozesse, bei denen die Netzwerkeffekte (Umsatzsprünge durch digitale Effizienzsteigerung) nicht mehr in der Tasche von SocialMedia-Milliardären landen, sondern auf das Konto einer sozialökologischen Transformationsgesellschaft einzahlen. Digitalisierung könnte dazu beitragen, dass Wertschöpfung stärker regional verankert wird (ansatzweise zu besichtigen schon auf regionalen Portalen wie RegioApp, frimeo, heimatprodukte uvam.).
Unter wirklich gelingender Nachhaltigkeit verstehen wir nicht nur das Projekt einer ökologischen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, sondern zusätzlich wirkungsvolle Maßnahmen gegen weiter auseinanderbrechende Gesellschaften und bewusste Maßnahmen gegen soziale Ungleichheit. Während die Digitalisierung auf der einen Seite dafür eingesetzt wird, um Prozesse in der Logistik, im Einzelhandel, in der Landwirtschaft und auf dem Mobilitätssektor effizienter zu machen, kann sie auf der anderen Seite durch Dezentralisierung und Demokratisierung dazu beitragen, dass sich die Menschen aktiver in Abläufe (beispielsweise als Energie-Prosumer) einbringen und in digitalen Partizipationsprogrammen als digital citizens neue Selbstverwirklichungschancen erhalten. Denn wenn wir endlich verstehen, dass wir uns die Werkzeuge von AirBnB, eBay, Uber, Amazon, Google etc. anverwandeln können, sie im Sinne des Gemeinwohls und „geerdet“ auf kommunaler Ebene umnutzen können, werden wir neue, moderne Stadtgesellschaften zu gründen imstande sein. Und diese von digitaler Erneuerung und Bürgernähe gekennzeichneten Städte und Landkreise werden soziale Ungleichheit eindämmen, weil sie eine neue Nähe zu den Menschen und ihren Wünschen und Ängsten herstellen.
Wir werden das Tor zu dieser digital-nachhaltigen Moderne aufstoßen, wenn wir (digitale) Technologien endlich nicht mehr als (Er-)Lösung, sondern als effiziente Werkzeuge begreifen. Digitalisierung müssen wir als einen Werkzeugkasten verstehen, der uns dabei unterstützt, unsere Vision von Moderne, Demokratie, Liberalität, Einkommensgerechtigkeit und Teilhabe in nachhaltiges Tun umzusetzen.