
Die Welt hat andere Probleme. Aber lässt sich die Alterung des Menschen biotechnologisch verlangsamen oder stoppen? Der Longevity-Trend wird für die seriöse Wissenschaft zum Thema – und für autoritäres Denken zur Sehnsuchtsvokabel.
Viele Menschen werden bereits älter als 100 Jahre und sind gesund. Warum sollte das nicht für uns alle erreichbar sein? Mal angenommen, alles das wäre realistisch, wie viel würden Sie in die Möglichkeit investieren, 150 Jahre oder älter zu werden? Oder 20 zusätzliche gesunde Jahre zu haben?
Bizarre Figuren scheinen von dem sogenannten Longevity-Trend, der Aussicht auf ein verlängertes Leben, begeistert.
Putin schwärmt von austauschbaren Organen
Vladimir Putin und Xi Jinping, zwei alternde Autokraten, schlenderten jüngst vor einer Militärparade in Peking über einen mit rotem, als ein „heißes Mikrofon“ eine Frage auffing, die sie offenbar brennend beschäftigte: Wie lange könnten sie noch als Autokraten weitermachen – und, zwischen den Zeilen, würde die Wissenschaft es ihnen vielleicht gar ermöglichen, für immer zu herrschen? Wladimir Putin versicherte Xi Jinping über seinen Übersetzer, dass mit dem technologischen Fortschritt „menschliche Organe ständig transplantiert werden können, sodass die Menschen jünger und vielleicht sogar unsterblich werden können“. Der chinesische Staatschef antwortete: „Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnten die Menschen 150 Jahre alt werden.“
Und während Putin im Krieg gegen die Ukraine mittlerweile mehr als eine Million russischer Soldaten in den Tod geschickt hat, denkt der als Hypochonder bekannte russische Diktator über das eigene ewige Leben nach. Laut dem unabhängigen Medienunternehmen Meduza hat Putin vor Kurzem staatliche Fördermittel in Millionenhöhe freigegeben, die in die Erforschung neuer Longevity-Technologien investieren, darunter den 3D-Druck von Ersatzorganen aus im Labor gezüchteten Zellen.
Das Silicon Valley träumt von ewiger Jugend
Bei den Superreichen im Silicon Valley – wie wir mittlerweile wissen: einem autokratischen Gehabe ebenfalls nicht abgeneigt - sind es über fünf Milliarden US-Dollar in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten gewesen, die in den Traum vom ewigen Leben flossen. Dies geht aus einer Analyse des Wall Street Journals zu Langlebigkeits-Investitionsgeschäften in PitchBook, in Erklärungen öffentlicher Unternehmen und in behördlichen Unterlagen hervor. Die Silicon-Valley-Kumpane Peter Thiel, Sam Altman, Yuri Milner und Marc Andreessen gehören zu den prominenten Namen, die hinter dem Geldzufluss in die Langlebigkeitsbranche stehen.
Drei Kernbereiche sind es, auf die sich die Superreichen konzentrieren: Bemühungen, den Alterungsprozess umzukehren oder zu verändern (Zellerneuerung), Behandlungen für altersbedingte Krankheiten zu entwickeln oder Produkte oder Dienstleistungen zu verkaufen, die angeblich die Gesundheit verbessern und die Lebensdauer verlängern.
Die Suche nach Möglichkeiten zur „Umprogrammierung“ und Verjüngung von Zellen sind jedoch klar das Thema Nummer eins. Die Idee, Menschen wieder jugendlicher zu machen, treibt Altos Labs, Retro, Juvenescence und mehr als 80 weitere Unternehmen dazu, rund fünf Milliarden US-Dollar für die Unsterblichkeit einzusammeln.
Legt Altos Labs die Grundlagen für die Jungbrunnen-Medizin?
Das auf künstliche Intelligenz spezialisierte Arzneimittelforschungsunternehmen Insilico Medicine strich mehr als 500 Millionen US-Dollar zur Behandlung mehrerer altersbedingter Krankheiten ein. Ein weiteres Unternehmen, BioAge Labs, das Medikamente zur Behandlung von Alterskrankheiten entwickelt, generierte 559 Millionen Venture-Dollar. Altos Labs, gegründet 2022, sammelte drei Milliarden US-Dollar ein (mehr als jedes andere Longevity-Unternehmen), um eine Grundlagentechnologie zur Zellverjüngung zu entwickeln.
Altos Labs genießt längst einen legendären Ruf. Es versammelt im Vorstand und als Mitarbeiter die geballte Kompetenz der neueren Biotechnologie, darunter mehrere Nobelpreisträger. Geschäftszweck des Unternehmens ist die Arbeit an der Regeneration, respektive der Verjüngung von Zellen, was Alterungsprozesse tatsächlich revidierbar machen würde. Altos Labs zahlt seinen Mitarbeitern rund das Zehnfache der Gehälter, die ansonsten in der Zukunftsbranche der Biotechnologie üblich sind. Prominentester Investor ist Amazon-Gründer Jeff Bezos. Bei einer Finanzierungsrunde im Januar 2022 nahm Altos Labs drei Milliarden US-Dollar ein. Das Ungewöhnliche: Altos Labs beschäftigt sich einstweilen nur mit Grundlagenforschung. Die Versammlung der Biotech-Weltklasse an Standorten in San Francisco, San Diego und Cambridge (Großbritannien).
NewLimit, dessen Fokus auf der Umkehrung der Zellalterung liegt, erhielt über 200 Millionen US-Dollar von ultrareichen Investoren ein, darunter mindestens neun Milliardäre oder deren Fonds, wie etwa Palantir-Mitbegründer Joe Lonsdale, Ex-Google-CEO Eric Schmidt und Sun-Microsystems-Mitbegründer Vinod Khosla. OpenAI-CEO Altman, setzt mit 180 Millionen US-Dollar auf Retro Biosciences, das Medikamente zur Regeneration und Neuprogrammierung alternder Zellen entwickeln will.
All diese Unternehmen gehören in den USA zu einem Verbund von über 200 Start-ups und gemeinnützigen Organisationen mit fast 1.000 Investoren. Zusammen haben sie in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten mehr als 12,5 Milliarden US-Dollar eingesammelt – nicht nur von Superreichen, sondern auch von Social-Media-Influencern, prominenten Wissenschaftlern und Schauspielern.
Berlusconi und der Kaiser von China warteten vergeblich
Doch eigentlich ist der Longevity-Trend so alt wie die Menschheit. Der erste Kaiser Chinas, Qin Shi Huang (259–210 v. Chr.), schickte Expeditionen zum mythischen Berg Penglai auf der Suche nach Elixieren für das ewige Leben – obwohl die Quecksilbertränke, die er trank, seinen Tod möglicherweise sogar beschleunigten. Und Longevity lockt die Eitlen an. Viele Jahrhunderte später als der Kaiser von China ging Silvio Berlusconi das Alterungsproblem mit der ihm eigenen Extravaganz an (Haartransplantationen, Schönheitsoperationen, merkwürdige Blutbehandlungen) – in seinem Bemühen, auf der politischen Bühne unbesiegbar zu erscheinen.
Belege dafür, dass Longevity auf der Zukunftsagenda von Big Pharma mittlerweile einen festen Platz hat, liefern in letzter Zeit unter anderem Bayer mit seinem Engagement bei Blue Rock, das an einem Wirkstoff gegen Parkinson arbeitet. Roche wiederum kooperiert über seine Tochtergesellschaft Genentech mit Lineage Cell Therapeutics. Hier geht es um die Entwicklung einer Therapie für die trockene altersbedingte Makuladegeneration, eine Ursache für Erblindung im Alter.
Längst zahlen sich nicht alle Wetten auf das ewige Leben als Anlagewert aus. Unity Biotechnology hat seit 2013 rund 355 Millionen US-Dollar investiert, um Medikamente gegen altersschwache Zellen zu entwickeln. Das Unternehmen wurde kürzlich jedoch vom Nasdaq genommen und kündigte im Juni seine Auflösung an.
Fazit
• Neben obskuren Projekten (nicht zuletzt die Blutplasma- resp. „Vampir“-Therapie) hat die Longevity-Forschung in letzter Zeit ein wissenschaftliches Fundament bekommen. Zelltherapien, die Alterungsprozesse verzögern, sind nicht mehr reine science-fiction.
• Ein erstes Medikament, Rapamycin, verschwand schnell wieder, weil es positive Effekte nur bei Mäusen zeitigte.
• Die katastrophalen Aussichten in der Pflege wird Longevity jedenfalls nicht korrigieren, und Elon Musks Neuralink-Projekt (Bewusstsein in die Cloud hochladen) bleibt kompletter Unsinn.
• Am Ende hat jeder von uns die Wahl: Je nach Lebenswandel (und genetischen Vorbelastungen) können wir heute alle bis zu 30 gesunde Jahre mehr oder weniger leben.
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