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Liefer-Mania: Warum es nicht ausreicht, Populismus mit Populismus zu bekämpfen

Deliverism: Politik als Bringdienst?
Deliverism: Politik als Bringdienst?

Liebe Freundinnen und Freunde der Zukunft,

 

in die Hände spucken, anpacken, Macherqualitäten zeigen. Die progressive Politik diesseits und jenseits des Atlantiks scheint sich auf ihr ureigenstes Versprechen zu besinnen: den Wählerinnen und Wählern ein besseres, zumindest ein gutes Leben zu ermöglichen. Politik muss endlich liefern, indem sie nah an den Bedürfnissen der Menschen entscheidet.

 

Trump verdankt seinen Wahlsieg nach der Einschätzung nicht weniger Experten seinem pseudo-hemdsärmeligen Auftreten in einer McDonald‘s-Frittenbude und dem Versprechen, dass auch weiterhin die Spiegeleier für alle Amerikaner:innen erschwinglich bleiben. (Legendär seine Lüge, dass die Eierpreise um 400 Prozent gefallen seien, BBC-Journalist:innen berechneten, dass jede Kundin und jeder Kunde für den Kauf eines Kartons mit einem Dutzend Eiern (Klasse A) mit zusätzlichen 30 US-Dollar belohnt werden würden.)

 

Trump wurde im Nachgang der Wahl nicht nur von konservativen Beobachtern zu einem kommunikativen Genie erklärt, weil er verstanden habe, worum es in der Politik im 21. Jahrhundert wirklich gehe: den Wähler:innen ein sorgenfreies Leben zu garantieren. Als Beispiel für eine Politik, die ablieferte, wird immer wieder der Bau der New Yorker U-Bahn herangezogen. Der erste Auftrag zum Bau der New Yorker U-Bahnen wurde im Jahr 1900 vergeben. Vier Jahre später – also vier Jahre! – wurden die ersten 28 Stationen eröffnet. Warum bekommen wir so etwas heute nicht mehr hin?

 

Die smarte Bibel des neuen Machertums von progressiver Seite ist ein im Frühjahr von Derek Thompson und Ezra Klein veröffentlichtes Buch mit dem Titel „Abundance“ (dt.: Fülle, Reichtum). Darin fordern die beiden linksliberalen Journalisten die fortschrittliche Politik auf, endlich – gerade im Wohnungsbau - zu klotzen und sich nicht von der Überbürokratisierung (selbst, so Thompson und Klein, ein Kind progressiver Verordnungspolitik der 70er und 80er Jahre) frustrieren zu lassen. Denn durch mutige Wohnungsbaupolitik lasse sich ein alarmierender Megatrend wie Ungleichheit wirksam adressieren. Die konservative, respektive ultralibertäre Fraktion der BigTech-Investoren hat eine ähnliche Idee - "Built“ - übrigens schon 2020 entwickelt.

 

Den hemdsärmeligen „Deliverism“ haben sich progressive Kreise in der westlichen Welt auf die Fahnen und in die Parteiprogramme geschrieben. Endlich wieder eine Strategie, um alle Wähler zu erreichen. Und ja, sie ist irgendwie auch ein bisschen von Trump abgekupfert, doch im Gegensatz zu Trump versprechen die Progressiven nicht nur „Deliverism“ anzutäuschen. Sie wollen wirklich abliefern.

 

Tatsächlich ist es jedoch so: in den vergangenen fünf Jahren haben die Progressiven von Biden bis Habeck zumindest einiges abgeliefert. Sie haben mutig und mit Milliardeninvestitionen die Grundlage für eine „große Transformation“ geschaffen. Der Haken bei der Sache: die Segnungen der Transformation wurden für „die Frau und den Mann auf der Straße“ nicht sofort sichtbar und werden eher auf das Konto der neuen Regierungen (Trump und Merz) einzahlen.

 

Warum also jetzt dieser Hype um Deliverism? Und was zeichnet ihn aus? Die Strategie, die die Progressiven mit der Liefer-Mania zur Rettung ihrer eigenen Zukunftsagenda anwenden, wer hätte das gedacht, ist populistisch und hoch gefährlich. Sie lässt sich in etwa so zusammenfassen: „Wir fragen jetzt einfach die Wählerinnen und Wähler, was ihnen gestern oder eben gerade gefallen hat, und setzen das einfach morgen um“. Das läuft auf einen statistisch abgesicherten Populismus hinaus, ist hübsch zeitgemäß – zielt aber am eigentlichen Problem vorbei.

 

Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler nicht an zu teuren Frühstückseiern leidet, sondern an einem Mangel an Zukunft und Vision. Ohne das Bild einer positiven, umsetzbaren, lebenswerten Zukunft gehen die Menschen nicht an die Arbeit, sondern werden immer mehr in Zynismus und Apathie verharren. Deswegen also besser: Keine billigen Versprechen, stattdessen brauchen wir Möglichkeitsräume und engagierte Zukunftsdebatten. Ohne die Vision von einer Zukunft innerhalb planetarer Grenzen werden wir die Demokratie nicht retten.

 

Abliefern ist gut. Mindestens genauso wichtig ist jedoch, den Menschen eine Vision von einer guten Zukunft, Erzählungen von erstrebenswerten Zukünften zu entwerfen. Dafür braucht es Überzeugungen, attitudes, Ideen. Statistisch abgesicherter Populismus wird nicht ausreichen.

 

Bleiben Sie hellwach!