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Hitzewellen, Klimawandel, Klimaanpassung - in China sorgt das für sozialen Sprengstoff

Foto: Eine Baustelle mit „Sprühkühlungssystem“ in Nanjing, Juli 2025.
Foto: Eine Baustelle mit „Sprühkühlungssystem“ in Nanjing, Juli 2025.

Im größten kommunistischen Land der Welt wird besonders während der Hitzewellen deutlich: es gibt Privilegierte und weniger Privilegierte. Plattform-Arbeiter von Lieferdiensten leiden besonders unter extremer Hitze.

 

2024 verzeichnete China das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die drei vorangegangenen Jahre gehörten alle zu den fünf Jahren mit den höchsten Jahrestemperaturen seit den 1960er Jahren. Laut The Lancet hat sich die Zahl der jährlichen Todesfälle durch Hitzewellen in China im Vergleich zu 1986 bis 2005 fast verdoppelt. Allein im Jahr 2023, dem aktuellsten Jahresbericht, starben mehr als 37.000 Menschen.

 

Wenn die Sonne Städte wie Peking in glühende Öfen verwandelt, steigt die Nachfrage nach Lieferdiensten. Je heißer es wird, desto mehr Bestellungen gehen ein. Für Bringdienste wie Ele.me, Meituan und JD.com der Alibaba Group Holding Ltd. – einige der größten Essenslieferdienste Chinas – ist die Rechnung einfach: Schwitzende und ausgelaugte Fahrer bedeuten zufriedene Kunden.

 

Hitze kurbelt das Geschäft an – die Todeszahlen steigen ebenfalls

 

Eine im letzten Jahr veröffentlichte Studie, die 1.200 Essenslieferanten und 580.000 Essensbestellungen untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass „Gig-Worker“ (unterbezahlte Dienstleistungskräfte, die für digitale Plattformen arbeiten) während Hitzewellen einen Anstieg der Bestellungen um neun Prozent verzeichnen, sechs Prozent länger arbeiten und nur einen Yuan mehr pro Stunde verdienen (teilweise aufgrund höherer Strafzahlungen für verspätete Lieferungen). Gleichzeitig betrugen ihre Gesundheitskosten für die Behandlung von Hitzschlägen und anderen Schäden (Verschlimmerung bestehender Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen), während der Hitzewellen durchschnittlich über 500 Yuan.

 

Laut Gesetz darf die Arbeit im Freien bei Temperaturen über 37 °C auf weniger als sechs Stunden begrenzt und bei 40 °C ausgesetzt werden. Die Durchsetzung beschränkt sich jedoch weitgehend auf Personen in regulären Beschäftigungsverhältnissen. Gig-Worker fallen durch das Gesetzesraster.

 

Die Unternehmen ihrerseits beteuern, ihre Mitarbeiter zu unterstützen. JD.com bietet Vollzeitfahrern eine Hitzezulage an, ohne jedoch nähere Einzelheiten zu nennen. Meituan ergreift Maßnahmen, darunter die Einführung einer Hitzschlag-Schutzversicherung ab diesem Monat. Ele.me hat schon länger Programme eingeführt, die Fahrer mit „Sommerkühlmitteln“ versorgen.

 

Im kommunistischen China tut sich in der Sommerhitze eine soziale Kluft auf

 

Und während die unterbezahlten Gig-Worker bei über 40 °C ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, prahlen Mitarbeiter von Behörden und Staatsunternehmen online mit ihren eigenen „Subventionen zur Hitzschlagprävention“ – Bargeldprämien, vorzeitigem Urlaub, sogar Urlaub in staatlichen Badeorten. Es ist nicht zu leugnen, dass Chinas Gig-Worker, eine wachsende Gruppe meist jüngerer Menschen, zu den am wenigsten geschützten im größten kommunistischen Land der Welt gehören.

 

Eine Geschichte von Besitzenden und Habenichtsen ist nichts Neues in China, aber der Klimawandel macht sie noch krasser. Und tödlicher. Die Unzufriedenheit unter den Plattform-Proletariern steigt. Der Ruf nach selbstbewussten Gewerkschaften im real existierenden Zweiklassen-Kommunismus wird lauter. Grundsätzliche Fragen werden aufgeworfen: Warum gibt es eigentlich Lieferdienste im Kommunismus? Und wer braucht an einem heißen Tag schon eine Tasse kalten Tee an einem zehn Kilometer entfernten Bahnhof?