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Rechtsdrehendes Wolkenkuckucksheim

Quelle: Financial Times   Gut ein Drittel der EU-Bürger aufgeschlossen gegenüber rechtspopulistischer Ideologie
Quelle: Financial Times Gut ein Drittel der EU-Bürger aufgeschlossen gegenüber rechtspopulistischer Ideologie

Es wäre naiv, zu glauben, dass in Großbritannien und Frankreich die Rechten abgewählt worden sind. Und es ist höchste Zeit, die rechtspopulistische Strategie zu verstehen: mit linken Wohlfahrtsversprechen in ein illusionäres „nationales Volksheim“.

 

In den Wahlen Anfang Juli konnte die Machtübernahme rechtspopulistischer respektive rechtsradikaler Parteien knapp abgewendet werden. Bei genauerem Hinsehen bestand die einzige wirkliche Überraschung darin, dass sich in Frankreich ein linker Block formierte, der letztendlich den Sieg des (RN) verhinderte. Abgesehen von den unterschiedlichen Wahlsystemen der großen EU-Staaten und unterschiedlichen innenpolitischen Gegebenheiten, bildet sich in diesem Sommer 2024 eine europäische Konstante heraus: der Vormarsch der Rechten ist keineswegs abgewendet. Kein Grund für Entspannung. Auch die These, wonach die Rechten zwar stärker werden, Unzufriedenheit organisieren, aber grundsätzlich von Regierungsbeteiligung ausgeschlossen bleiben, ist nicht haltbar. Focaldata hat im März 2024 eine Untersuchung in Großbritannien, Schweden, Frankreich, den Niederlanden, Italien und Deutschland durchgeführt, die nach der Empfänglichkeit der Wähler:innen für ein rechtspopulistisches Themenangebot fragte. 

 

Die Meinungsforscher wollten wissen, wer sich für ein hypothetisches Wahlprogramm begeistern könne, das Zuwanderung, die Rechte für LGBT+ und Klimapolitik deutlich zurückfährt. Das Ergebnis: In allen sechs Ländern würden mehr als ein Drittel der Befragten für eine solche Politik votieren. Italien und Großbritannien erreichten dabei mit 37 Prozent die höchsten Zustimmungswerte. Das ist insofern bemerkenswert, als der Sieg von Labour anfangs als Erdrutschsieg gewertet wurde. Die Rechtspopulisten von „Reform“ kamen bei der Abstimmung nur auf 14 Prozent - die Umfrage von Focaldata zeigt jedoch, dass es im Vereinigten Königreich ein rechtspopulistisches Wähler:innenpotenzial von 37 Prozent gibt. Die rechtspopulistische „Reform“ frönt dem Personenkult um ihren Gründer, den Brexiteer Nigel Farage, ist noch eine junge Partei, verfügt bislang über eine schwache Infrastruktur und hat mit seinem neoliberalen Kurs wohl geneigte Protestwähler:innen abgestoßen. 

 

Jetzt auch Sahra Wagenknecht: Links antäuschen, rechts überholen

 

Hierzulande, wo sich 34 Prozent für eine rechtspopulistische Politik der prekären Wohlstandsverwaltung begeistern können, wird dieser Kurs nicht nur von der rechtspopulären AfD, sondern auch vom BSW, der frischgegründeten Partei von Sahra Wagenknecht abgedeckt, dessen Kommunikation („Krieg oder Frieden. Sie haben jetzt die Wahl“) sich umgehend komplett im argumentativen Nirvana positioniert hat. 

 

Was die Partei nicht ungefährlicher im Kampf um orientierungssuchende und wütende Wähler macht. Im Gegenteil. Man braucht kein Politikstratege zu sein, um zu erkennen, dass zwischen den 17 Prozentpunkten der AfD und den 34 Prozent deutscher Populismus-Befürworter aus der Umfrage genügend Platz für Personenkult um Sahra ist. Das konzeptionelle Rauschen des BSW in der Wähler:innen-Ansprache heißt nicht, dass die Partei nicht verstanden hätte, worum es im rechtspopulistischen Tagesgeschäft wirklich geht. Wagenknecht wirft alle demagogischen Köder aus, die zur Verfügung stehen: endlich Frieden, wahltemperierter Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit, und das alles vor dem Hintergrund, dass der sorglose Wohlstand Marke BRD unbedingt aufrechterhalten werden muss (mit welchen Mitteln eigentlich?). 

 

Was erfolgreiche Rechtspopulistinnen wie Le Pen, Meloni und Wagenknecht einem neoliberalen wie Farage (der im Grunde Politik für US-Wähler macht) voraushaben: Sie punkten ökonomisch mit klassischen Sozialstaatsthemen (Familie, Sicherheit, Gesundheit) und positionieren sich stramm rechts bei soziokulturellen Themen wie Einwanderung und Diversität. Die Blaupause dafür haben seit Mitte der 2010er Jahre  Orban in Ungarn und die PiS in Polen vorgelegt. In Ungarn gibt Orbans regierende Fidesz-Partei sage und schreibe fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Familienpolitik aus; Mütter mit vier Kindern und mehr sind lebenslang von der Einkommenssteuer befreit.  

 

Für die Wahlen in den kommenden Monaten in Ostdeutschland und in Österreich könnte dies entscheidend sein: Wieweit gelingt es den Populisten, zu denen wir auch das BSW zählen, mit den Versprechen sozialdemokratischer Wohlfahrtspolitik 

 (die beim BSW bis zur Ausmalung urkommunistischer Wolkenkuckucksheime gehen könnte - „Arbeit oder Leben. Sie haben jetzt die Wahl“) Menschen zur Wahl rechtsradikaler Parteien zu überreden?

 

Laut dem Global Party Survey der Financial Times hat die Abstimmung in Großbritannien gezeigt, dass hier potenzielle Wähler der Rechtspopulisten mangels Sozialpolitik von Farage - letztmalig? - Labour gewählt haben. 

 

In Deutschland werden sich die Sozialdemokraten darauf nicht verlassen können.