Wie bekommen wir die AfD von den Hacken? Über Selbstzufriedenheit und die Verrechtlichung von Politik

Haben wir so wenig Selbstbewusstsein und Vertrauen in unser Gemeinwesen, dass wir immer gleich nach dem Verfassungsschutz und den Gerichten rufen, wenn es in der Politik ungemütlich wird?

 

Der Politologie Philip Manow bezweifelt, dass es uns weiterhilft, wenn wir mit der Ordnungskraft unserer Institutionen drohen. Er liest der Republik die Leviten, indem er behauptet, dass das „Nie mehr!“ unserer Nachkriegsdemokratie und die Anrufung des Verfassungsgerichts nicht ausreiche, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden. „Die AfD ist Ausdruck des Misstrauens gegenüber den etablierten Parteien. Versteift man sich auf den juristischen Kampf gegen sie, weitet sich das Misstrauen nur aus und erfasst dann alle Institutionen“, so Manow. Mir gefällt diese Sichtweise, weil sie die ketzerische Frage stellt: Ist der Populismus nicht das Produkt, das ungeliebte Kind, unserer demokratischen Prozesse in den vergangenen 50 Jahren? 

 

Könnte es nicht sein, dass der Erfolg der AfD das Ergebnis unserer Selbstzufriedenheit ist?

 

Führt unser ängstliches Festhalten an den alten Gepflogenheiten der demokratischen Debatte nicht dazu, dass sich immer mehr Menschen nicht mehr im politischen System wiederfinden?

 

Denken wir einmal an den möglichen Lernerfolg (die "Krisendividende"), wenn wir die Realität akzeptieren und die Auseinandersetzung mit AfD und den Unzufriedenen selbstbewusst in die eigenen Hände nehmen würden, und nicht immer gleich nach dem Verfassungsschutz rufen, wenn unsere Demokratie in Frage gestellt wird.  

 

Und von hier aus betrachtet: Ist es nicht UNSERE Aufgabe, die Aufgabe von Gesellschaft (zu der ich die Unternehmen ausdrücklich hinzuzähle) und Politik, den Konflikt mit den Populisten auszutragen – ohne gleich die Karlsruher Verfassungsrichter anzurufen?

 

Europäische Nachbarn wie die Schweiz, Österreich und Italien belächeln mitunter unseren ängstlichen Klammerreflex am Konstitutionalismus. Sie leben seit längerem mehr oder weniger souverän mit dem Populismus. Und die „Grande Nation“ Frankreich verfügt praktisch über kein Verfassungsgericht.

 

Fest steht: Die AfD leistet weder eine zielführende Kritik des parlamentarischen Systems, und schon gar nicht ist sie in der Lage, die Probleme des 21. Jahrhunderts (Klimawandel, Alterung der Gesellschaft, Digitalisierung) zu lösen. Ich habe mich selbst kürzlich an dieser Stelle für ein Verbot der AfD ausgesprochen (wofür, wenn nicht für die Neofaschisten, haben wir die Gesetze?). Was einem Verbot jedoch als gewichtiges Argument entgegensteht, ist, dass es wie eine politische Entmündigung wirkt. Eine Behörde schützt unsere Verfassung. Das klingt wenig überzeugend und ist auch nicht wirklich demokratisch. Wir riskieren damit, dass die Rechtsprechung weiter politisiert wird.  

 

In den USA würde wohl niemand leugnen, dass der Supreme Court eine politisch aufgeladene Institution ist. Und hierzulande hat sich das Verfassungsgericht selbst des „juristischen Populismus“ verdächtig gemacht, schaut man sich die Urteile zum Wärmegesetz und zu dem 58-Cent-Aufschlag bei den Rundfunkgebühren an.

 

Die wichtige Frage, die dadurch indes nicht beantwortet wird, lautet: Was passiert, wenn demnächst eine rechtsradikale Partei wie die AfD mit rund einem Drittel an Stimmen in den Bundestag oder Landesparlamente einzieht und Regierungsmehrheiten unmöglich macht, sowie bei der Besetzung von Verfassungsrichtern mitbestimmt?

 

Eine panikgesteuerte Verrechtlichung der Politik ist der falsche Weg, weil sie mit Verboten hantiert und Gefahr läuft, Apathie, Demokratiemüdigkeit und Bevormundungsgefühle noch weiter zu steigern. Wir als Gesellschaft haben die Aufgabe, unsere Demokratie weiterzuentwickeln, demokratische Mitsprache der Bevölkerung zu erweitern – und unserer Demokratie ein Update zu verpassen.   

 

Die Verrechtlichung der Politik wird unsere Probleme mit den Rechtsradikalen, den Frustrierten und Abgehängten nicht aus der Welt schaffen.