Am Ende des Jahres wird Bilanz gezogen. Wo stehen wir als Gesellschaft? Während in Dubai die COP28 zuende geht, stehen wir zwischen Klima-Prokrastination und einem Megatrend Digitalisierung, der in Gestalt der Generativen Künstlichen Intelligenz, völlig aus den Fugen zu geraten scheint. Wir vom Institut für Trend- und Zukunftsforschung präsentieren Ihnen hier regelmäßig Erkenntnisse aus der Megatrend-Forschung, die Ihnen ein Frühwarnsystem für eigene Analysen und Entscheidungen zur Verfügung stellen soll. Für das Feld der Künstlichen Intelligenz zeichnet sich ab, dass dringend Leitplanken und Institutionen geschaffen werden müssen, die die weiteren Entwicklungen bei den denkenden Maschinen nachvollziehbar machen.
Das Chaos um Sam Altmans Entlassung und Wiedereinsetzung bei Open AI könnte ein Hinweis darauf sein, dass den handelnden Personen die Kontrolle über brisante Entwicklungen in der KI abhanden gekommen ist. Die Sache wird nicht besser dadurch, dass man mit Zukunftstechnologien das Gute wollen und im Desaster landen kann. Der hochbegabte Mathematiker Sam Bankman-Fried, das beleuchten wir im „Essay“, wollte die Welt mit waghalsigen Finanzwetten erlösen und landete vor dem Richter, alttestamentarische 100 Jahre Gefängnis drohen. „Effective Altruism“ ist eine elitäre soziale Bewegung, auf die sich Bankman-Fried bezog und die auch für die Protagonisten der KI, Sam Altman und Elon Musk, eine wichtige Rolle spielt. Was erschwerend hinzu kommt: Bei keiner technologischen Revolution wird gerade so viel Geld fast ausschließlich von privater Seite investiert wie bei der KI. Die Hybris der Welterlöser aus dem Silicon Valley, das müssen wir uns klarmachen, duldet keinen Aufschub bei der wissenschaftlichen und rechtlichen Einhegung von KI.
Das Aufschieben konsequenter Maßnahmen haben wir beim Klimawandel (ein anderer existenzieller Megatrend) mittlerweile zu einer feinziselierten Kultur der Realitätsleugnung ausgebaut. Forscher der Cambridge University zählen insgesamt zwölf (!) ausgefeilte Narrative, die den Aufschub unverzichtbarer Klimaschutzmaßnahmen für Verunsicherte, schlecht Informierte und kühl kalkulierende Klimaleugner plausibel machen sollen. Sie reichen von der Individualisierung der Klimaschuld über den Whataboutism („Die anderen sollen erst mal anfangen, wir haben schon genug getan“) bis zur Ankündigungspolitik („Disruptive change is not necessary“), vom „Free rider excuse“ („CO2-Reduktion schwächt unsere Wirtschaft, die anderen warten nur darauf“) über den politischen Perfektionismus („Erst wenn wir genau wissen, wie es geht, fangen wir an“) bis zum kleinbürgerlichen Trauerspiel („Ohne fossile Energien werden sich die hart arbeitenden Menschen keinen Urlaub mehr leisten können“).
Am Ende eines Jahres der Multikrisen und Ampel-Ausfälle wird uns klar, dass wir so etwas wie kollektive Selbstbindung brauchen. Der Nachhaltigkeitsphilosoph Felix Heidenreich hat das sowohl für den Klimaschutz als auch für die Digitalisierung eingefordert. Wenn sich Unternehmen und Technologievisionäre als Teil der Gesellschaft (und nicht als elitäre Erlöser) empfinden, entsteht nachhaltige Zukunft. Eingriffe in Märkte werden dann nicht als „freiheitsberaubend“ empfunden, wenn die Regeln „von denjenigen, die ihnen unterworfen sind, (mit-)entschieden wurden“. (Heidenreich, S. 126) So tritt kollektive Selbstbindung technoider Hybris entgegen. Und der klimapolitischen Desinformation sowie der daraus folgenden Klima-Prokrastination und -Apathie können wir begegnen, indem die Zivilgesellschaft frühzeitig in Entscheidungen eingebunden wird.
Dann klappt‘s auch beim Wärmegesetz, denn so wird Selbstbestimmung („der Heizungskeller gehört mir“) durch soziale Mitbestimmung veredelt. Die Politik darf sich nicht zum Oberlehrer der Unternehmen und Märkte aufschwingen. Gleichzeitig muss auch das irrlichternde Projekt Open AI begreifen, dass unternehmerische Freiheit nicht bedeutet, ungebunden und uneingeschränkt agieren zu können.
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit und ein glückliches 2024!!
Bleiben Sie hellwach!
Ihr EW