Rüstet eure Begriffsgeschütze ab! Wir brauchen ein zustimmungsfähiges Zukunfts-Narrativ

Wenn die großen Begriffsgeschütze aufgefahren werden, ist das immer ein Zeichen dafür, dass sich eine Gesellschaft in ihrem Kern verändert. Die verfeindeten Lager haben sich in die rhetorischen Schützengräben begeben. Alles ist mit einem Mal politisch, mit Bedeutung überladen. Jedes Wort zeigt an, in welches Lager man gehört. Begriffe werden "besetzt" und missbraucht, als ginge es um Landeroberungen.

 

Wer erlangt Diskurshoheit? Mittlerweile sprechen wir von einem „Kulturkampf“ um die richtige Strategie für die Energie-, Wärme- und Mobilitätswende. Es wird „Technologieoffenheit“ eingefordert, obwohl damit Politiker und Lobbyverbände nur alte Technologien wie den Verbrennungsmotor erhalten wollen (und, bizarr, der Großteil der Autoindustrie gar nicht am Alten festhalten möchte).

 

Gleichzeitig haben wir eine nicht enden wollende Diskussion um das "Gendern", das angeblich unsere Sprache, unser vielleicht wichtigstes Kreativsystem, zersetzt. Außerdem sei Gendern „reaktionär“. Die Mittelschicht löst sich auf, sagen die einen, was die Demokratie im Land gefährden könnte. Andere sehen das Problem darin, dass sich immer mehr Leute zur Mittelschicht zählen, die ihr einkommensmäßig längst entwachsen sind. Tatsächlich ist die Mittelschicht in Deutschland sehr präsent und einflussreich, nur in der unteren Mittelschicht hat eine Erosion eingesetzt, gegen die wir Maßnahmen einleiten sollten. 

 

Dürfen wir noch vom „American way of life“ träumen, sollten wir davon träumen, fragt der Ex-Grüne Boris Palmer in Reaktion auf Luisa Neubauer und Fridays For Future und erklärt den erreichten Wohlstand für unverzichtbar. Es fällt - wie selbstverständlich - auch der Begriff des Totalitarismus. Jeder Begriff eine Fackel jeder Diskurs eine Stalinorgel, die sozialen Medien helfen dabei. In den USA haben sie für die Epidemie der Polarisierung, die auch unsere Öffentlichkeit bedroht, reichweitenstarke Plattformen errichtet. 

 

Geht es nicht etwas kleiner?

 

Um weiter zu kommen, sollten wir vielleicht zuerst einmal unsere Begriffsarsenale durchmustern und: abrüsten. 

 

Die Polarisierungsphänomene, das Wettrüsten der Worte, fördert ganz unbezweifelbar eines zutage: Wir erleben gerade einen tiefgreifenden Wertewandel, nicht nur wegen des Klimas, nicht nur wegen der Migration, nicht nur wegen des Aufbruchs der Minderheiten in den Mainstream. 

 

In Zeiten des beschleunigten Wandels ist häufig die „große Erzählung“ , die große Success-Story, ohne die Gesellschaften offenbar nicht funktionieren, abhanden gekommen. Wie können wir Freiheit entkoppelt von Überfluss leben? Weniger Konsum, mehr Resonanz. Ist das möglich? Ich glaube, es ist möglich.

 

Hätten wir eine verantwortungsbewusst handelnde Ampel-Regierung, würde sie uns die Geschichte (keine allwissende Meta-Erzählung!) von der nächsten industriellen Revolution der Nachhaltigkeit erzählen, die 50 Millionen „bessere und grüne Jobs“ schafft. Wo ist die Regierung, die uns diese oder ähnliche Geschichten von einer gelingenden Zukunft erzählt?