Kulturkampf und „Woke Capitalism“ lösen keine Probleme

 

„Wokeness“ und „Political Correctness“ sind Kampfbegriffe, die zurzeit Hochkonjunktur haben, um Nachhaltigkeitsziele und ESG-Maßnahmen von Wirtschaft und Gesellschaft zu verunglimpfen. Reaktionäre Netzwerke (hierzulande aber auch konservative Zweige der FDP) versuchen, damit die Energiewende und Maßnahmen gegen den Klimawandel zu verhindern. Warum? Um die fossilen Branchen (Kohle, Erdöl, Erdgas, Auto) so lange wie möglich als Erlösquelle zu erhalten. 

 

In der aktuellen Ausgabe unseres Megatrend-Letters geht es mehr oder weniger in jedem Beitrag um die Frage, wie wir in den kommenden Jahren neue Grundlagen für eine lebenswerte Gesellschaft angesichts der planetaren Grenzen legen können. Wir zeigen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wie Häuser mit uralten Materialien und neuester Hightech gebaut werden und erläutern, warum das Ende der Kohle noch immer auf sich warten lässt. Mit unserem Nachbarn Polen wird ein Land immer einflussreicher, das Zukunftstechnologien fördert, während die rechtspopulistische Regierung Grundrechte und Meinungsfreiheit einschränkt. Bei der Analyse der Wahl eines AfD-Landrats im Thüringischen Sonneberg begegnen uns auch hierzulande Warnsignale eines polarisierenden Kulturkampfs. 

 

Aber lassen Sie uns noch kurz auf die Lage in den USA schauen. Hier tobt der Kulturkampf längst bis in die Geschäftswelt. „BlackRock möchte der größte Vermögensverwalter der Welt bleiben. Das bedeutet, dass er den Menschen die Produkte verkaufen muss, die sie wollen, und nicht Sozialpolitik“, derart süffisant kommentierten jüngst Insider das Einknicken des weltweiten Topinvestors.

 

Larry Fink avancierte zum Lieblingsziel der Reaktionären 

BlackRock hatte die Wende hin zu den ESGs (environmental, social, governance), zu nachhaltigen Investitionen, bereits 2019 vollzogen. Dieser Entschluss scheint jetzt zumindest aufgeweicht. Es war ohnehin zunächst ein verbales Bekenntnis, nach wie vor ist BlackRock der zweitgrößte Investor in fossile Energien. Eine 2021 von Reclaim Finance veröffentlichte Studiebelegt, dass von BlackRock verwaltete Vermögenswerte in Höhe von 85 Milliarden US-Dollar nach wie vor in der Kohleindustrie investiert sind.

Anti-Woke-Kampagnen der Republikaner setzten BlackRock-CEO Larry Fink seit 2021 gehörig unter Druck. In seinem bekannten Newsletter im vergangenen Jahr erwähnte Fink die ESGs nur noch ein einziges Mal.

 

BlackRock verwaltet gigantische 9 Billionen US-Dollar an Vermögenswerten von Pensionsfonds, Regierungen, Universitäten und Unternehmen. Damit steckt der Konzern praktisch in allen börsennotierten Unternehmen. Fink, der ohne Frage einflussreichste Investor der Welt, verkündet 2021 seinen grünen Strategiewechsel – hatte aber offenbar nicht mit solchem Widerstand gerechnet. „Die Ölindustrie wird dagegen bis zum Tod kämpfen. Und sie verfügt über eine Kriegskasse von mehreren zehn Milliarden, um dies zu erreichen“, wird ein ehemaliger BalckRock-Mitarbeiter in der Washington Post zitiert. 

 

Von rechts wurde ein Kulturkampf gegen Fink entfacht. Consumers‘ Research, eine von vielen Organisationen, die in den USA den rechten Kulturkampf vorantreibt, hat mehr als vier Millionen US-Dollar für den PR-Krieg gegen BlackRock ausgegeben.

Im November teilte der Bundesstaat Florida unter Gouverneuer de Santis mit, dass er zwei Milliarden US-Dollar, die man BlackRock überwiesen hatte, zurücknehmen werde, weil er Einwände gegen die ESG-Investitionen von BlackRock habe. Auch West Virginia und Louisiana zogen mit der gleichen Begründung ihr Geld von BlackRock ab. Währenddessen haben Fondsgesellschaften begonnen, Produkte für Anti-Woke-Investings zu entwickeln – Fonds, die mit den Produkten von BlackRock konkurrieren, aber unter anderem in Ölunternehmen investieren.

 

Der Kulturkampf könnte auch Netflix entpolitisieren

Die liberale Finanzwelt knickt ein. BlackRock gehört zu mindestens einem Dutzend großer Finanzunternehmen, die Anleger in ihren jüngsten Jahresberichten kleinlaut davor warnten, dass sich die Abkühlung bei den nachhaltigen Investments zu einem Geschäftsrisiko auswachsen könne.

 

Auch in der Konsum- und Freizeitindustrie toben die Glaubenskriege – und schädigen Unternehmen. Der hippe Supermarkt Target verlor nach einer pro-LGBTQ+ zehn Milliarden US-Dollar an Börsenwert. Anheuser-Buschs Biermarke „Bud Light“ kostete es mehr als 15 Milliarden US-Dollar und 23 Prozent seines Aktienwertes, als es mit einer Transgender-Person warb. Die Marketing-Chefin, verantwortlich für die Kampagne, wurde prompt entlassen. Nike (Sport) und Maybelline (Kosmetik) wurden nach Transgender-Kampagnen durch rechte Gegenkampagnen boykottiert.

 

Wahrscheinlich ist kein Unternehmen geeigneter in einem amerikanischen Kulturkrieg zerrieben zu werden als Disney. Disney ist mit seinen Freizeitparks einer der größten Arbeitgeber in Florida. Für seine liberale und weltoffene Haltung ist der Spaßkonzern schon lange bekannt. Wokeness-Vorwürfe des reaktionären Gouverneurs de Santis führten dazu, dass Disney 2022 in der Beliebtheitsskala der US-Unternehmen von Platz 27 auf den 65. Rang abstürzte.

 

Ob man mit liberalen Werten und Menschenfreundlichkeit für sein Unternehmen wirbt, ist eine Sache. Ob Unternehmen diese Werte tatsächlich umsetzen, ist wieder eine andere Sache. Der Kulturkampf in den USA ist 2022 in eine neue Phase eingetreten. Selbst ein einflussreicher Konzern wie Netflix, eindeutig dem progressiven Spektrum zuzuordnen, mahnt seine Führungsmannschaft mittlerweile zur "politischen" Vorsicht und versucht durch weniger „Wokeness“ das schwindende Publikum zu halten.

 

Ist damit der kurze Frühling der nachhaltigen Investments schon vorüber? Ganz sicher nicht, denn die Dekarbonisierungsziele der Regierungen zwingen auch Big Oil zu Verhaltensänderungen. Aber wir müssen endlich Zukunftserzählungen entwickeln, die die Menschen hinter der sozial-ökologischen Transformation versammeln. Kulturkämpfe, Worte als Maschinengewehre, braucht niemand!