Polen: Investoren frohlocken trotz fragwürdiger Politik

Nach außen gibt sich Polen weltoffen und modern. Investoren aus der ganzen Welt wissen das zu schätzen. Im Inneren arbeitet die rechtsnationale PiS-Partei jedoch an der Abschaffung der Rechtsstaatlichkeit und der Gleichschaltung der Medien. Diejenigen Unternehmen, die an Polens Demokratieverständnis zweifeln, lassen sich bislang damit besänftigen, dass die EU den Rechtsrahmen vorgibt.

 

Trotzdem des politischen Irrlichterns der Regierungspartei kehren auch die Jungen wieder nach Polen zurück. Der Staat möchte die Geburtenrate anheben. Als Lockmittel für junge Familien dienen Jobs, Zuschüsse und billige Mieten. 

Rückkehrer finden optimale Bedingungen für die Familiengründung vor. Was dem westlich voreingenommenen Blick lange verborgen blieb: Polen ist ein bevölkerungsreiches Land. Mit 38,5 Millionen Einwohnern erwirtschaftet das Land ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 679 Milliarden US-Dollar. Seit der Jahrtausendwende hat sich das Durchschnittseinkommen in Polen verdoppelt, während es in Frankreich, Großbritannien und Deutschland zwischen 14 und 25 Prozent anstieg. Viele Polen, die in den 2000er Jahren in EU-Staaten auswanderten (insbesondere Großbritannien und Deutschland) kehren wieder zurück. Der Staat empfängt sie mit offenen Armen: für jedes Kind werden monatlich umgerechnet 115 Euro gezahlt, ein Kindergartenplatz kostet maximal 60 Euro.

  

Stabilität durch autoritäre Politik zahlt sich aus. Im vergangenen Jahr stellte das Land an der Weichsel zum wiederholten Male eine Bestmarke auf, was ausländische Investitionen angeht. 3,7 Milliarden Euro flossen nach Polen. Mercedes-Benz hat Ende 2022 angekündigt, in Polen künftig E-Transporter fertigen zu wollen, Auftragsvolumen: rund eine Milliarde Euro. Gut 9.500 Unternehmen aus Deutschland verfügen bereits über Produktionsstandorte in Polen. 

Batterien für die Elektromobilität, ein eigener Aktienindex für die Gaming-Industrie und hohe Erwartungen an die Digitalisierung des Konsums - Polen hat sich – von vielen im West ebenfalls lange übersehen – zu einem Zukunftsstandort entwickelt. Geht die Wohlstandsentwicklung so weiter, wird Polen im Jahr 2030 Großbritannien überholen.

 

Es geht nicht mehr nur um Callcenter und Billigdienstleistungen. In Polen wird längst hochwertig produziert. Keine Rede mehr von der „langen Werkbank des Westens“. Deutschlands östlicher Nachbar hat nach dem Mauerfall nicht nur schnell den Wandel von der Staats- in die Marktwirtschaft vollzogen und dadurch früh ein akzeptables Wohlstandsniveau erreicht. Polen wird von Investoren mittlerweile für seine Expertise auf vielen Gebieten moderner Zukunftstechnologien wie Elektromobilität, Automatisierung und IT geschätzt. Dafür wurden die Lohnkosten in moderaten Grenzen gehalten, so dass Polen speziell auf dem Gebiet der Mobilitätswende die globale Konkurrenz nicht zu fürchten braucht.

 

Auch die Windenergie ist für ein Land wie Polen, dessen nördliche Ebene sehr flach ist, eine attraktive Energiequelle der Zukunft. In einer ersten Runde großer Offshore-Ausschreibungen für die Ostsee hat auch ein deutsches Unternehmen einen Zuschlag erhalten, RWE Renewables, für ein Feld mit 350 Megawatt. Polen ist auf dem besten Weg, der wichtigste Produktionsstandort in Europa für E-Mobilität zu werden. Schon jetzt gibt es landesweit mehr als 60 Produktionsstätten für Automobil-Batterien. Eine ehrgeizige Innovationskultur entsteht: Es geht um Leichtbauweise, effiziente Stromspeicherung und um Ladestationen.

 

Ein Pilotprojekt könnte die Autobahn A4 von Deutschland durch ganz Polen bis in die Ukraine werden – durchgängig mit E-Ladestationen für Lkws bestückt. Stichwort: Annäherung der Ukraine an die EU und Wiederaufbau des Landes. Wer auf Polen blickt, erkennt möglicherweise die neue Mitte Europas.