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Warum fährt Herr W. Amok?

Scheindiskurs zu den E-Fuels
Scheindiskurs zu den E-Fuels

Mit irrelevanter Diskurs-Folklore um sogenannte E-Fuels für Pkws offenbaren die FDP-Minister Wissing und Lindner, worum es ihnen politisch geht: Unzufriedenheit und Unsicherheiten angesichts der Energie-, Wärme- und Mobilitätswende zu organisieren. Das kennen wir doch irgendwoher? Es ist Populismus reinsten Wassers. Die Abwicklung des Verbrennungsmotors wird über den Preis stattfinden.

 

Da wundert sich der (liberale) Geisterfahrer, wenn ihm so viele Autos entgegenkommen. Die Anspielung auf den alten Witz war selten treffender als momentan, wenn wir uns die industriepolitischen Geisterfahrten des FDP-Verkehrsministers Volker Wissing anschauen. 

 

Die EU-Abstimmung über das geplante Aus für neue Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 war in der vergangenen Woche wegen Nachforderungen Deutschlands verschoben worden. Verkehrsminister Wissing weigerte sich, einem pauschalen Verbrenner-Aus zuzustimmen. Die EU-Kommission müsse einen Vorschlag machen, wie klimaneutrale, synthetische Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, nach 2035 in Verbrennungsmotoren eingesetzt werden könnten. Eine nachvollziehbare Begründung für die Nutzung von E-Fuels in Pkws bleibt Wissing standhaft schuldig.

 

E-Fuels werden auf der Basis von Methanol hergestellt. Wird dieses an extrem wind- oder sonnenreichen Standorten mit grünem Strom aus Wasser und aus der Luft entnommenem Kohlendioxid hergestellt, sind E-Fuels klimaneutral. Am 20. Dezember des vergangenen Jahres wurde in Chile die weltweit erste Pilotanlage für die Produktion solcher Kraftstoffe in Betrieb genommen. Das erste Auto, das, mit synthetischem Kraftstoff aus der Anlage in Haru Oni betankt wurde, war – welch Überraschung - ein Porsche. Und da könnten wir jetzt die Geschichte von der FDP und ihrem Vorsitzenden Christian Lindner (Hashtag Porschegate) weitererzählen, wenn es nicht so öde wäre...

 

E-Fuels sind für das Projekt der Dekarbonisierung des Pkw-Verkehrs schlicht irrelevant

 

E-Fuels sind extrem teuer und müssen aufwändig produziert werden. Um für 100 Kilometer E-Fuels für einen Pkw zu erzeugen, müssen 115 Kilowattstunden an Strom aufgewendet werden. Für die gleiche Distanz fallen bei batteriebetriebenen Fahrzeugen dagegen nur 18 Kilowattstunden an. Bislang existieren die E-Fuels nur in winzigen Mengen. Eventuell könnten sie eine Übergangslösung sein, um restliche Verbrenner ein bisschen klimafreundlicher zu betreiben, nicht in erster Linie in Europa, sondern in Regionen, in denen die E-Mobilität nicht so schnell voranschreitet. 

 

Bis 2050 soll die Luftfahrt klimaneutral werden. Hier könnten neben Wasserstoff E-Fuels möglicherweise ebenfalls interessant werden. Wenn die Branche das auch nur annähernd schaffen will, müssen die sogenannten nachhaltigen Flugtreibstoffe (Sustainable Aviation Fuels, kurz: SAF) dafür aber erst einmal entwickelt werden. Diese sollen 65 Prozent der vorgesehenen Kohlendioxid-Einsparungen liefern. Sie sind für die Luftfahrt aus heutiger Sicht der einzig gangbare Weg, der im industriellen Maßstab umsetzbar ist.

 

Außer Porsche (nebst seinem profilneurotischen neuen Chef, der sich gegenüber Mitarbeitern brüstet, mit dem Finanzminister im SMS-Daueraustausch zu stehen, lehnen alle deutschen Autohersteller die Diskussion um E-Fuels ab: „das Thema ist durch“, verlautbart beispielsweise der Daimler-Konzern.

 

Im Verkehrsministerium obwaltet dagegen das fossile 20. Jahrhundert. Und das hat System. 

 

Volker Wissings EU-Blockade hat politische Motive. Wissing und Lindner kokettieren mit der Idee, dass Jobs (Automobil, chemische Industrie) und Technologien (Verbrennungsmotor, Erdölraffinerien) vor einem Umbau oder dem Verlust durch die Produktion und Nutzung E-Fuels gerettet werden könnten. 

 

Wissing ist kein Rechtspopulist. Aber er stellt wahltaktische Erwägungen über die zeitkritische Umsetzung der Mobilitätswende in Europa. Es geht nicht einmal in erster Linie darum, einer Marke wie Porsche bei ihrem Versuch, beliebte Sportwagen wie den 911er weiter mit den alten Motoren auszuliefern, behilflich zu sein. Es geht darum, die Unsicherheit der Menschen, das Zögern gegenüber der neuen Antriebstechnologie der Elektromobilität aufrecht zu erhalten und wahltaktisch auszuschlachten. Populisten organisieren mit Vorliebe Unzufriedenheit und streuen Zweifel – vielleicht springen dabei ein paar Wählerstimmen ab. Dass sich damit sogar formidabel Wahlen gewinnen lassen, zeigen die Erfolge der Rechtspopulisten in den vergangenen Jahren. 

 

Wissings Blockade soll Wählerstimmen bei den Unzufriedenen und Transformationsgeschädigten gewinnen

 

Ein weiteres Beispiel für die populistische Geisterfahrt der FDP ist die Besetzung des Begriffs Technologieoffenheit. Eine schillernde Vokabel, die FDP-Politiker im Zusammenhang mit der E-Fuel-Debatte immer wieder ins Spiel bringen. Technologieoffenheit klingt klug und zeitgemäß, gerade angesichts von Deutschlands selbstverschuldeter Pfadabhängigkeit von russischem Erdgas (übrigens unter FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler) Mit gelebter Technologieoffenheit in der Energiediskussion wäre es womöglich gar nicht zu Putins menschenverachtendem Angriffskrieg gekommen. Wenn Wissing und Lindner jetzt mit Technologieoffenheit beim Ende des Verbrennungsmotors operieren, dann betreiben sie jedoch das demagogische Geschäft von Populisten. In der EU werden sie für diesen demagogischen Versuch vielleicht sogar Applaus ernten, von Viktor Orban beispielsweise oder der polnischen PIS. Das sind Rechtspopulisten, deren Agenda darin besteht, Wählerstimmen mit reaktionären Versprechen, dass „alles wieder wie früher wird“ zu gewinnen.

 

Es ist richtig und vorausschauend, Pfadabhängigkeiten zu vermeiden. Das hat aber nichts damit zu tun, was gerade in der EU gefordert wird. Es geht zunächst um die Durchsetzung eines Plans der von allen EU-Staaten bestätigten Dekarbonisierung des Mobilitätssektors. E-Fuels sind bei dieser zukunftswichtigen Entscheidung schlicht irrelevant. Mit der absurden Diskussion zu den E-Fuels verschleiert schlicht, dass es längst eine Lösung für die Mobilitätswende gibt.

 

Veronika Grimm, Wirtschaftsweise und Beraterin der Bundesregierung, erklärte dazu in der „Zeit“: „Ich bin überzeugt, dass man mehr Klimaschutz im Verkehr am besten und am einfachsten nicht durch solche Diskussionen, sondern durch den europäischen Emissionshandel erreicht. Der ist ja auch für den Mobilitätssektor bereits beschlossen, durch ihn wird es in den kommenden Jahren immer unattraktiver werden, weiter Verbrenner zu fahren. Der Emissionshandel in den Sektoren Mobilität und Wärme müsste nun auch scharfgestellt werden. Da muss der Staat Entschlossenheit beweisen. Dann lohnt es sich im Jahr 2025 auch nicht mehr, Verbrenner mit traditionellem Benzin statt mit E-Fuels zu betanken.

 

Davon zu schwadronieren, dass wir mit E-Fuels die Verbrennungsmotoren und daran hängende Arbeitsplätze retten können, ist Demagogie. Mit dieser Diskussion blockieren die FDP-Ministerien nicht zuletzt die weitere Ansiedlung von Batteriefabriken in Deutschland.

 

4 Punkte sind es, die ein Verkehrsministerium, das im postfossilen 21. Jahrhundert angekommen ist, jetzt umsetzen müsste: 

 

Sozialverträgliche CO2-Bepreisung bei Mobilität und Wärme (86,7 Milliarden Euro aus Zertifikatsversteigerungen (EHS I und II) plus nationale Zuschüsse) 

• Zeitnaher Ausbau der Batteriekapazitäten und Ladeinfrastrukturen für Elektroantriebe im Pkw-Verkehr

• Noch wichtiger: Konsequente Stärkung des ÖPNV, wo positive Signale gerade in Deutschland nicht vorhanden sind.

• Schneller Hochlauf einer Wasserstoff-Wirtschaft für Schifffahrt, Schwerlastverkehr und Flugzeug

 

Wissing tut nichts davon und betätigt sich als verkehrspolitischer Geisterfahrer. Wir können uns weiter über Wissing aufregen. Wissing könnte sein Amt niederlegen. Besser sollten wir auf die Erweiterung des EU-Emissionshandels setzen. Doch dann – Hot Take! – werden es sich selbst Porschefahrer nicht leisten können, mit E-Fuels durch die Gegend zu cruisen.