Ein American Meltdown und unser Weg in die post-globale Gesellschaft

foto: shutterstock  Im Bild der Hafen von Singapur
foto: shutterstock Im Bild der Hafen von Singapur

Wir erleben in diesen Tagen den dramatischen Zusammenbruch eines politisch-technologischen Regimes, das die 2010er Jahre geprägt hat. Die USA sind der Schauplatz: Die politische Blase der rechtspopulistischen Republikaner ist in den Midterms geplatzt, währenddessen im Silicon Valley mehr als 30.000 gut bezahlte Mitarbeiter entlassen werden 

 

Es ist der Zusammenbruch einer fatalen Koinzidenz aus Machtgier, dreister Unehrlichkeit und einzigartiger Verantwortungslosigkeit. Mit der Populismus-Dämmerung in Washington und Kalifornien zeichnet sich die Chance auf einen neuen Realitätsbezug ab: wieder mehr Realpolitik statt Aufmerksamkeitsökonomie. Höchste Zeit dafür, denn in den kommenden Jahren müssen wir den Übergang in eine pst-globale Gesellschaft vollziehen. 

 

Die Ära der SocialMedia, die auf dem Verkauf von Online-Werbung und der Nutzung fremder Daten fußte, geht zu Ende. Die 44-Milliarden-Dollar-Übernahme von Twitter durch den erratisch-destruktiven Elon Musk sorgt seit Wochen für Chaos; die Hälfte der 7.500 Twitter-Mitarbeiter wurden sofort herausgeworfen. Fast zeitgleich setzte Marc Zuckerberg bei Facebook/Meta 11.000 Mitarbeiter vor die Tür. (Der Vollständigkeit halber: Amazon hat 10.000 Entlassungen angekündigt, Snap 1.300, Netflix 450.) Nach eigenem Bekunden hat sich Zuckerberg „geirrt“, das mit dem Metaverse gehe jetzt doch nicht so schnell. Das Metaverse, an sich schon keine besonders originelle Idee (sie wurde bereits 1992 in dem Roman „Snow Crash“ beschrieben), scheint sich als pubertäre Phantasie im Kopf von Marc Zuckerberg hartnäckig festgesetzt zu haben. 

 

13 Prozent der Meta-Belegschaft müssen jetzt gehen. Innerhalb von zwölf Monaten hat der Konzern drei Viertel seines Börsenwerts eingebüßt. 97 Prozent des Umsatzes macht Facebook mit Online-Werbung. Facebooks Werbekunden haben inflationsbedingt ihre Marketingbudgets umgeschichtet, was dem Unternehmen weiter schweren finanziellen Schaden zufügen wird. Im Februar bezifferte das Meta-Management allein die Einbußen durch Apples neue Datenschutzpolitik (eingeschränktes Targeting auf iPhones und iPads) auf mehr als zehn Milliarden US-Dollar. Zuckerberg wäre längst nicht mehr im Amt, würde er nicht selbst die Stimmenmehrheit bei Meta kontrollieren. Seine langjährige rechte Hand, Sheryl Sandberg, glaubte Branchengerüchten zufolge nicht an das Metaverse und ging vor wenigen Monaten von Bord. Zuckerberg ist nicht „real“. Was gerade mit Facebook passiert, kann niemanden wirklich verwundern.

 

Kommentatoren in den USA sehen das Projekt Meta/Facebook sogar schon auf dem Niveau der Rust-Belt-Unternehmen aus der Automobil- und Stahlindustrie angekommen: Umsätze stagnieren und die schrumpfenden Margen werden immer konjunkturabhängiger. Facebook ist nichts anderes mehr als eine digitale Drückerkolonne und hat nie eigene Ideen hervorgebracht. Unter rechtswidriger Verwendung von Nutzerdaten hat sich Meta seit dem Wahlkampf  2016 als 5. Kolonne für Putins Trollfarmen und Donald Trumps Hassprediger-Horden hervorgetan. Ausführliche Studien unter anderem von dem Historiker Timothy Snyder und der Russland-Expertin Catherine Belton haben das in aller Ausführlichkeit belegt. Man kann die russische Einflussnahme auf den Wahlkampf 2016 in nahezu jedem einzelnen Post nachlesen: https://intelligence.house.gov/social-media-content/ 

 

Die Menschen haben die Nase voll von Twitter-Präsidenten und selbsternannten Tech-Gurus, das legen die Ergebnisse der Midterms nahe. Es wächst die Sehnsucht nach mehr Realitätsbezogenheit und authentischen Akteuren.

 

Der amerikanische Showdown findet vor dem Hintergrund einer blutigen Invasion in der Ukraine und einem trübseligen Klimagipfel in Sharm el-Sheikh statt. Doch zumindest in den USA zeichnet sich gerade ein Stimmungswandel ab. Die US-Midterms waren dafür ein wichtiger Gradmesser. Trumps bizarre Kandidatenschar wurde selbst von den Republikanern nicht mehr ertragen. Aber der deutliche Anstieg der Jungwähler zeigt, dass Politisierung noch möglich ist und der Trumpsche Rechtspopulismus keine Wahlen mehr gewinnt. Dagegen gilt ein Politiker wie John Fettermann, der in Pennsylvania zum Senator gewählt wurde, bei den Amerikanern als real, anfassbar und vertrauenswürdig. Das Pseudo-real eines Populisten wie Trump und Zuckerbergs Pseudo-Kommunitarismus („Bringing the world closer together“) brechen sich an einem unkonventionellen Demokraten wie John Fetterman.

 

Als Fetterman zum stellvertretenden Gouverneur von Pennsylvania berufen wurde, zog er nicht in die staatstragende Mansion um, sondern stellte die Villa den Jugendlichen zur Verfügung, die im Pool des Anwesens schwimmen lernen konnten. Seine Gegner versuchten es mit der üblichen Schlammschlacht. Der examinierte Harvard-Ökonom und praktizierende Sozialarbeiter Fetterman sei zu „soft on crime“. Doch Fetterman siegte gegen den republikanischen Wunderheiler-TV-Doktor Mehmet Oz, weil er nicht nur die Postleitzahl seines Heimatortes auf seinen Arm tätowiert hat, sondern Pennsylvania in seiner Diversität und Gebrochenheit akzeptiert und besser machen möchte. Fetterman setzte sich ein für einen gerechteren Mindestlohn und organisierte gun-buyback-Aktionen. Er ist gelebtes Anti-Establishment, wogegen Trumps Anti-Establishment-Show (mit goldener Kloschüssel im Badezimmer) als lächerliche Karikatur verblasst.

 

Auf unserem Weg in die post-globale Gesellschaft brauchen wir mehr Fettermans und weniger Zuckerbergs. Wir brauchen Menschen, die verantwortlich handeln und das Leben „vor Ort“ besser machen. Freier Handel und Globalisierung haben nicht zu mehr Wohlstand geführt, sondern zu einer politisch explosiven Entkopplung der Wirtschaft in „Big Tech“ (in den USA) und „Big State“ (in China). Aber nur der "Weg zwischendurch" führt wieder zu Marktwirtschaft, die diese Bezeichnung verdient, zu Wettbewerb, individuelle Freiheit und Demokratie. Statt auf technische Effizienz getrimmte Lieferketten brauchen wir robustere Lieferketten. Statt der globalen Integration von Billiglohnmärkten müssen wir uns künftig mehr für die Schaffung von Lebenschancen vor Ort einsetzen. Billige Produkte aus Niedriglohnländern haben nicht zu mehr Wohlstand geführt: wachsende Ungleichheit ist das Ergebnis einer ungesteuerten Globalisierung. Hieraus entstand der globale Populismus und machte erst die Karrieren von irrealen Figuren wie Trump, Musk und Zuckerberg möglich.

 

Die fatale Annahme der Neoliberalen war, dass die Erde flach ist und lokale und regionale Interessen keine Rolle spielen. Dass der sogenannte freie Markt nichts Befreiendes und Freiheitsliebendes hatte (wie von den Neoliberalen selbst in den 1930er Jahren erhofft), zeigt sich jetzt in den abstürzenden BigTech-Monopolen und dem aggressiven Staatskapitalismus autoritärer Staaten (China, Russland). Es wäre Irrsinn, deswegen die Globalisierung abschaffen zu wollen, aber Handel und Märkte müssen wieder den Interessen der Menschen vor Ort dienen. 

 

PS: Aktuell zeichnet sich ab, dass im Silicon Valley bis Jahresende rund 120.000 Jobs gestrichen werden. Anfang der 2000er Jahre, im Zuge der Dotcom-Blase, waren es 107.000 Arbeitsplätze, die in kürzester Zeit verloren gingen wurden. Die Kernschmelze bei BigTech ist nicht nur eine Krise des Geschäftsmodells (Online-Werbung, sonst nichts), sondern auch der ins Stolpern geratenen Innovationsentwicklung vor allem in der Künstlichen Intelligenz.