Midterms in den USA und warum sich mit Trump keine Wahlen mehr gewinnen lassen

Foto: Picture Alliance Ein neues Amerika?
Foto: Picture Alliance Ein neues Amerika?

 

Die Angst vor dem Verlust der Demokratie treibt viele Amerikaner an die Wahlurnen. Trumps Radikalisierung der Republikaner wird offensichtlich nicht mehr goutiert, was das Ende seiner politischen Geisterfahrer-Karriere bedeuten könnte. Währenddessen werden die Progressiven bei den Demokraten immer selbstbewusster 

 

Mit einer solchen Inflation kann eigentlich keine regierende Partei in den USA dazu gewinnen, das war vor den Wahlen von vielen Experten zu hören. Die Demokraten haben es trotzdem geschafft. Man muss schon 60 Jahre bis Kennedy zurückschauen oder auf die USA nach 9/11 schauen, um ähnlich positive Zahlen für eine Regierungspartei in den Midterms zu finden.

 

Die Vereinigten Staaten sind ein heillos polarisiertes Land. Rechtsradikaler Populismus (strukturell unterstützt von der algorithmischen Öffentlichkeit der SocialMedia und Wladimir Putins Trollfarmen) hat die Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr an den Rand des Bürgerkriegs gebracht. 

 

Ron DeSantis, der bei den Gouverneurswahlen in Florida einen triumphalen Sieg einfuhr, gilt als der Nachfolger Trumps bei den Republikanern. Ein „Trump mit Hirn“, wie jetzt schon gewarnt wird. Trumps verschwörungsideologischer Haussender Fox News vermeldete gleich in der Wahlnacht: „DeSantis ist der neue Anführer“. Trump fehlten bislang Netzwerke und Anhängerschaft in der Bürokratie und in den Institutionen, um die Demokratie vollends von innen auszuhöhlen. DeSantis erscheint dabei schon jetzt besser aufgestellt. Trump hat De Santis bereits mit der Veröffentlichung belastenden Materials gedroht, sollte er sich als Präsidentschaftskandidat und Konkurrent Trumps aufstellen.

 

Unbestritten ist trotzdem, dass der Schattenmann Trump bei den Midterms bitter abgestraft wurde. Und die Anzeichen verdichten sich, dass Trump so die Wahl 2024 nicht gewinnen kann.

 

Trump wird überschätzt, wenn man ihn als Charismatiker deutet. Es gab keine religiöse Verehrung seiner Anhänger. Als erfahrener Populist und Demagoge hat er es verstanden, Unzufriedenheit zu organisieren und gezielt die Tabus der politischen Korrektheit zu adressieren. Trump war eher immer das Instrument von Interessengruppen - der Erdöllobby, der reaktionären Evangelikalen, von Putins Spindoctors et cetera. Trump hat den Hass auf die Gegenseite stabilisiert, wobei ihm die Krawallprinzipien der SocialMedia sekundierten. Diese Prinzipien bestehen, vereinfacht gesagt, darin, dass es nicht um Informationen, Wahrheit oder Werte geht, sondern nur noch um die Münze der formalen Aufmerksamkeitserzeugung. 

 

Damit ist die US-amerikanische Demokratie noch lange nicht gerettet. Mitunter hochgradig verwirrte Figuren wie die rechtsextreme Verschwörungsideologin Kari Lake, der psychopathische Ex-Footballspieler Hershel Walker (der seine eigene Familie mit Waffen bedrohte), oder der esoterische TV-Arzt Mehmet Oz, der im Senatsrennen in Pennsylvania gegen den progressiven Demokraten John Fetterman unterlag, sind unter Trumps Patronage bei den Wahlen angetreten. Überraschend viele davon, die auch in seriösen Medien nur noch als „maniacs“, als Verrückte bezeichnet werden, sind abgestürzt. Die Mehrheit von ihnen ist jedoch durchgekommen, und sie werden als überzeugte Rassisten, Klima- und Wahlleugner Amerikas Institutionen schädigen.

 

Die Inflation wurde im Vorfeld von den Wahlforschern klar als Thema Nummer eins identifiziert. Doch es spielte – so abgrundtief absurd sind mittlerweile die Polarisierungseffekte in der amerikanischen Gesellschaft – bei der Wahlentscheidung keine Rolle. Der Hauptgrund dafür: die Polarisierung in eine tiefrote und eine tiefblaue USA neutralisiert in einem nahezu mathematisch exakten 50:50-Patt bei den Wahlen der letzten Dekade, selbst solch schwergewichtige Themen wie Inflation, Abtreibungsrecht und Klimawandel

 

Zwischen den verhärteten roten und blauen Fronten findet in den USA quasi keine Wählerbewegung mehr statt. Das Land hat sich komplett in getrennte Identitätsmilieus abgeschlossen und lehnt alles, was von der Gegenseite kommt – als ginge es darum, die eigene Haut zu verteidigen – ab. Politikforscher sprechen von dem Phänomen der „Calcification“, einer kompletten Versteinerung der politischen Verhältnisse, eine gegenseitige Lähmung, ein absurdes Verharren im Status Quo, in der hermetisch abgedichteten eigenen Lebenswelt und in gegenseitiger Verachtung. (siehe vor allem John Sides, Chris Tausanovitch, Lynn Vavreck: “The Bitter End: The 2020 Presidential Campaign and the Challenge to American Democracy”) In dieser disparaten und manichäischen Realität spielen mithin selbst existenzielle Themen offenbar keine Rolle mehr.

    

Was zumindest auf Seiten der demokratischen Wählerschaft funktioniert hat: Der Kampf um die Erhaltung der Demokratie hat die Menschen mobilisiert und nach 2020 auch jetzt und speziell bei Jungwählern zu einer hohen Wahlbeteiligung geführt, der zweithöchsten in den vergangenen 30 Jahren. In der Gruppe der jungen Wähler zwischen 18 und 29 Jahren haben die Demokraten mit 63 Prozent der Stimmen in den Midterms klar gewinnen können.

 

Und im demokratischen Lager setzen sich, insbesondere in den Metropolen, immer mehr progressive Linke durch. Die für ihre linken Positionen bekannten demokratischen US-Abgeordneten rund um Alexandria Ocasio-Cortez haben ihre Sitze bei der Parlamentswahl verteidigt. Nach vorläufigen Zahlen und Prognosen von US-Medien setzten sich die sechs Mitglieder der als „The Squad“ bekannten Gruppe deutlich gegen ihre republikanischen Herausforderer durch. Weitere vier junge, nicht-weiße Demokraten konnten sich ebenfalls durchsetzen und werden die Squad ergänzen.

 

Ein erratischer Charakter wie Elon Musk, der zur Wahl der Republikaner aufgerufen hat und nun bei Twitter auf dem Fahrersitz Platz genommen hat, verheißt nichts Gutes. Seine unreflektierte Haltung zu „Free Speech“ wird die amerikanische Öffentlichkeit nicht zur Ruhe kommen lassen.  

 

Ist mit den Midterms jetzt die Vernunft in die Köpfe der US-Wähler zurückgekehrt? Dafür fehlen nach wie vor überzeugende Beweise. Die Spaltung der Gesellschaft ist nicht aufgehoben. Die Zustimmungsraten zu Bidens Politik sind kein Prozent besser oder schlechter als die seiner Vorgänger Trump und Obama. Insofern haben die Demokraten wohl eher trotz Bilden ein beachtliches Ergebnis erzielt. 

 

Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bidens Projekt der Heilung und Versöhnung der Gesellschaft in Spurenelementen zu greifen beginnt. Doch die Gefahr ist noch lange nicht gebannt, denn es gibt mittlerweile so etwas wie eine anti-demokratische Tradition in der Grand Old Party.