Handelsblatt-Kolumne: Warum die Krypto-Klima-Technokratie nicht funktioniert

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Die Blockchain verspricht, den Kampf gegen den Klimawandel zu vereinfachen. Doch wer genauer hinschaut, erkennt, dass sie in erster Linie neoliberales Denken stützt.

 

Eine neue Technologieoffenbarung scheint uns unmittelbar bevorzustehen, auf die sich aber selbst Elon Musk noch keinen Reim machen kann. Das Web 3.0, Blockchains, ja so etwas wie ein begehbares Metaversum und DAOs (Dezentralisierte Autonome Organisation) versprechen Demokratie, Spaß ohne Ende, Solidarität und die Lösung quälender irdischer Probleme.

 

Das haben wir doch alles schon einmal gehört? Mitte der 1990er-Jahre, als die erste Version des Internets, das Web 1.0, seinen Siegeszug antrat. Auch damals versprach die technologische Utopie eines World Wide Web, unsere Realität im Handumdrehen in eine bessere Welt zu verwandeln.

 

 

Schauen wir uns als euphorisches, aber aus heutiger Sicht merkwürdig weltfremdes Zeugnis dieses Cyber-Utopismus' John Perry Barlows „Declaration of the Independence of Cyberspace“ vom 8. Februar 1996 an: „Regierungen der industriellen Welt (...), ich komme aus dem Cyberspace, dem neuen Zuhause des Geistes. Als Vertreter der Zukunft bitte ich euch aus der Vergangenheit, uns in Ruhe zu lassen. (...) Ihr habt keine Souveränität, wo wir uns versammeln.“

 

Gefährliche Fehldeutung des Internets

Barlows Cyber-Utopismus von 1996 huldigt einem gefährlichen technokratischen Idealismus, in dessen Zentrum die verhängnisvolle Fehldeutung steht, dass das Internet als Inkarnation einer großartigen Idee (der Vernetzung der Menschheit) zwangsläufig nur Gutes schaffen könne und weltgeschichtlich damit immer auf der Seite der Guten und Tugendhaften lande werde.

 

Die dezentrale Grundarchitektur des Internets, so mussten wir schon zehn Jahre später mit Facebook und Twitter feststellen, schützte es mitnichten vor Hass, Populismus, Monopolisierung und der kompromisslosen Kapitalisierung der Datennutzung.

 

Ehrwürdige Institutionen wie das „World Economic Forum“ (in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers) und das „Greenhouse Gas Management Institute“ müssen sich fragen lassen, ob es ihnen primär um sinnvolle Maßnahmen gegen den Klimawandel geht oder um das Greenwashing der Industrie und der interessegeleiteten Promotion neuer Technologien für zukunftssüchtige Investoren.

 

Aber schauen wir genauer hin. Das Washingtoner Greenhouse Gas Management Institute äußert sich sehr pauschal zum Klimaeinfluss der Cryptogovernance und geht davon aus, dass die Blockchain eine „unerwartete Kraft sein (wird), die in der Lage ist, ein höheres Maß an Beteiligung und Ehrgeiz anzuregen und umfangreiche Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen zu mobilisieren, um die Pariser Ziele zu erreichen“.

 

Bereits 2018 hat sich das World Economic Forum (WEF), seit Jahren ein entschiedener Unterstützer umfangreicher Klimamaßnahmen, für eine Cryptogovernance in Klimaangelegenheiten ausgesprochen. Beim Thema „Blockchain for a better planet“ wurden beim WEF aber offenbar alte neoliberale Reflexe geweckt.

 

Angeblich soll es durch technische Lösungen wie Zahlungen von Kleinstbeträgen (Micropayments) auf Blockchains gelingen, dass Konsumenten ihr Konsumverhalten derart individualisiert und nachhaltig steuern können, dass die Umwelt davon profitiert.

 

Nachvollziehbar ist, dass mittels einer Blockchain alle Herstellungs- und Transportschritte von Produkten transparent gemacht werden können. Dass ausgerechnet Micropayments dann dazu beitragen sollen, dass sich Verbraucher nicht nur klimabetroffen äußern, sondern ihren Konsum signifikant umstellen und als verzichtsbewusste Null-Emissions-Konsumenten der Menschheit den Weg in die postfossile Gesellschaft ebnen, ist weniger plausibel.

 

Blockchains und digitales Geld sind offensichtlich kein Durchbruch im Kampf gegen den Klimawandel. Erstens ist das Zählen von privaten Emissionen keine nachhaltige Klimastrategie, zweitens muss die Frage erlaubt sein, was hier eine neue Technologie an Fortschritten bringen kann, die selbst in absurd hohem Maße CO2-Ausstoß verursacht.

 

Die Digitalwährung Bitcoin verbraucht jährlich mehr Strom als 45 Millionen Menschen pro Jahr in Argentinien, haben Wissenschaftler der Universität Cambridge errechnet.

 

Individualisierung der Umweltschuld

Der Eindruck, dass es sich bei der sogenannten Climate Cryptogovernance um einen ziemlich unausgegorenen Technologie-Hype handelt, ist nicht von der Hand zu weisen. Und wer noch etwas genauer hinschaut, entdeckt hierbei einen bekannten Griff in die Mottenkiste des Neoliberalismus: die Ermächtigung des Einzelnen als großangelegtes Ablenkungsmanöver.

 

Die Individualisierung der Schuld auf digitalem Wege, über die Blockchain, soll die technokratische Lösung für die sich immer weiter verschärfende Klimakrise liefern. Die Individualisierung der Klimaschuld – über das Vehikel dezentraler Digitalisierung – suggeriert einen Lösungsansatz, bei dem die Verursacherindustrien einfach so weitermachen können wie bisher.

 

Und was noch schwerer wiegt: Über den Deus ex Machina der neuen Technologie wird die fragwürdige Illusion einer postpolitischen Lösung der Klimakrise beschworen.

 

Damit sind wir bei einem populären Gegenwartsmythos angekommen, wonach zuallererst die Verbraucher durch ihr alltägliches Handeln die Klimakatastrophe abwenden können. Der Einzelne muss nur die Verantwortung für die planetare Zerstörung auf sich nehmen und sein Einkaufsverhalten optimieren, dann klappt es auch mit dem Klima.

 

Das Narrativ der Individualisierung der Umwelt- und Klimaschuld hat eine lange Geschichte. Der berühmte Werbespot mit dem weinenden Indianer von 1970 war wohl der erste Versuch, mit subtilen Mitteln die Verantwortung für den Raubbau an der Natur dem Verbraucher zu überantworten.

 

Der Spot zeigt, wie sich ein amerikanischer Ureinwohner mit seinem Boot auf einem verdreckten Fluss, umgeben von Industrieanlagen, fortbewegt. Schwenk auf Automassen, die in einem schier endlosen Stau feststecken; Schwenk auf den weinenden Indianer am Ufer, dem eine Träne die Backe herunterläuft; Kommentar: „People start pollution, people can stop it.“

 

Als Lobbygruppe hinter der NGO „Keep America beautiful“, die den Werbespot in Auftrag gab, entpuppte sich die US-Getränkeindustrie. Firmen wie Coca-Cola versuchten, sich mit dem Spot gegen staatliche Umweltregulierungen zur Wehr zu setzen, und erklärten deshalb kurzerhand den Verbraucher zum Alleinverursacher von Umweltproblemen.

 

Dass das Narrativ der Individualisierung der Schuld wie geschmiert funktionierte, davon konnte 2004 der Mineralölkonzern BP also längst ausgehen, als er im Jahr 2004 seinen legendären CO2-Footprint-Rechner auf seiner Webseite in Betrieb nahm.

 

Blockchain ist ein Werkzeug der Entpolitisierung

Jetzt sollen die Blockchain und Climate Cryptogovernance den Klimawandel zu einem Problem der Verbraucher herunterindividualisieren. Klimawandel, Artensterben und Umweltverschmutzung werden auf diese Weise entpolitisiert, die Rolle von Politik, Weltwirtschaftsordnung, Unternehmen und Märkten tritt in den Hintergrund.

 

Und mittels der Nachverfolgbarkeit jedes Produktionsvorgangs in Blockchains soll auf wundersame Weise endlich der große Bewusstseinswandel hin zum verantwortungsvollen Konsum eintreten (an dem sich Umweltschützer und Verbraucherverbände seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen).

 

In dieser durch technologische Disruption befreiten Konsumwelt, so die Hoffnung der neuen Cyber-Utopisten, werden die Verbraucher ab sofort und im Weltmaßstab nur noch CO2-neutrale Produkte konsumieren, weil Micropayments, Blockchain und Kryptowährungen es ja so sinnfällig und einfach machen.

 

Hinter der steilen These der Cryptogovernance des Klimas werden uralte Glaubenssätze des Neoliberalismus sichtbar. Erstens: Ohne den Markt, der Konsumbedürfnisse organisiert und mittels Innovationen die Nachfrage steuert, ist die Bewältigung des Klimawandels nicht möglich.

 

Zweitens: Wir müssen der Logik des Marktes mit ihren steuerbaren Konsumenten vertrauen, denn nur dadurch – und mittels der Zauberhand technokratischer Revolutionen – wird die Selbstermächtigung des Einzelnen für ein sinnvolles Handeln gegen die weitere Erderwärmung möglich.

 

Vereinfacht gesagt: Nur der Markt und seine neuesten technologischen Innovationen weisen den Ausweg – nur wenn wir das Klimaproblem den freien Marktkräften überlassen, naht das Rettende auch.

 

Doch mit diesen Formeln haben wir zu lange vergeblich versucht, Probleme zu lösen. Climate Cryptogovernance ist Ideologie reinsten Wassers, weil uns damit noch einmal vorgegaukelt wird, dass Technologien gesellschaftliche Willensbildung, Politik und die Entwicklung nachhaltiger Lebensstile ersetzen können.

 

Weder wird es für uns eine demokratische Zukunft geben, die auf purer technokratischer Rechner-Dezentralisierung basiert, noch wird sich der Klimawandel in einem postpolitischen Raum der Blockchains und Kryptowährungen bewältigen lassen. Alles das sind mehr oder weniger hilflose Versuche, den menschheitsbedrohenden Klimawandel mit den alten neoliberalen Werkzeugen der Deregulierung und Depolitisierung in den Griff zu bekommen.

 

Zuerst erschienen in: Handelsblatt, 18.02.2022