Corona-Proteste: Wer organisiert die Unzufriedenheit?

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Umfragen belegen seit Monaten, dass wir es bei den „Corona Demonstranten“ mit einer absoluten Minderheitenposition zu tun haben. Laut dem aktuellen ZDF-Politbarometer sprechen sich in Deutschland sogar 77 Prozent der Befragten dafür aus, dass die Corona-Kontrollen verstärkt werden.

 

Ein O-Ton, der bei mir gestern von der „Hygiene-Demonstration“ in Berlin hängen geblieben ist, lautet: „Wir wollen lieber sterben als ständig diese Angst zu haben.“

 

Das ist krass und scheint auf einige wichtige Phänomene unserer politischen Kultur hinzuweisen:

 

• Spontanes Ausleben von Wut und Unzufriedenheit fand früher in der Anonymität von sektiererischen Kleingruppen, auf dem Sportplatz, in der Eckkneipe und sonstwo statt, heute wird er von SocialMedia und Rechtspopulismus organisiert: Viele Menschen, die sich als „Hygiene-Demonstranten“ bekennen (aber als distanzlose Hygiene-Gegner ihr Unwesen treiben), sind von der Pandemie-Situation überfordert, in hohem Maße sicherlich auch von ihrer aktuellen Lebenssituation. Dass sie sich mit Faschisten und Nazis auf die Straße stellen, ist ihnen da sicher völlig egal.

 

• Die neoliberale Parole, jeder ist seines Glückes Schmied, trifft nicht für 100 Prozent der Bevölkerung zu: Offenkundig sind viele Menschen unfähig mit Ängsten umzugehen. Unsere von Konsumoptionen und Märkten geprägte Lebenswelt liefert keine Hilfestellungen dafür, wie man Ängste und Ambivalenzen ausbalanciert oder integriert.

 

• „Move fast and break society“: Es ist jedoch nicht nur die Unfähigkeit, mit Ängsten umzugehen. Offensichtlich ist es den meisten Corona-Demonstranten auch völlig unzumutbar, sich an Regeln zu halten, das staatliche Gewaltmonopol zu akzeptieren und an demokratischen Werten entlang zu handeln. Big-Tech-Unternehmen verhalten sich indes genauso, weswegen alle von Disruption als innovative Strategie sprechen: "Break things" (Mark Zuckerberg). Oder wie Margret Thatcher 1979 als britische Premierministerin erklärte: “There is no such thing as society"

 

• In einer vorgeblich grenzenlosen Welt der Konsum- und Erlebnisversprechen werden notwendige Grenzsetzungen für das alltägliche Miteinander zu einer Zumutung: Wer etwas länger schon Übergriffe gegenüber Polizei, Sanitätern, Feuerwehrleuten und welchen Amtsträgern und Institutionen auch immer zur Kenntnis nimmt, den überraschen die Exzesse der Corona-Demonstranten nicht. Hier sollten wir drüber nachdenken, was passiert ist, dass staatliche Autorität seit einigen Jahren aggressiv angegangen wird. Donald Trump, der amerikanische Präsident, fordert immer wieder zur Aggression gegenüber Amtsträgern und Institutionen auf. In unzähligen Studien ist mittlerweile belegt, das Donald Trump die repräsentative Demokratie zerstören möchte: „Break Things, Break Society!“

 

Ich trete immer dafür ein, Menschen zuzuhören und im Gespräch Konflikte zu lösen. Eine Gesprächsebene mit Menschen, die minimale Vernunftstandards verweigern (und via Fake News und SocialMedia darin bestärkt werden) sind jedoch mit vernunftgeleiteten Dialogen nicht zu erreichen. 

 

Der Protest, wie er momentan stattfindet, ist von keiner gemeinsamen Idee getragen, deswegen ist es Unsinn, von einer Volksbewegung zu sprechen. Er ist ein Zeichen von Wut und Verwirrung. Bedenklich ist die Verantwortungslosigkeit, mit der die Demonstranten die Schädigung der Mitbürger und der Polizei in Kauf nehmen. 

 

Trotzdem ist es wichtig, dass Politik und Gesellschaft mit Autorität und Selbstbewusstsein Grenzen setzen, wo Demonstrationsrecht verletzt und Mitbürger gefährdet werden.

 

Was können wir aus den bizarren Demonstrationen lernen: Wir müssen ein dramatisches Auseinanderbrechen der Gesellschaft verhindern, wie es sich gerade in den USA offenbart. Seit Ende der 1980er Jahren haben wir den Pfad einer homogenen Wohlstandsgesellschaft verlassen. Das Ergebnis waren stärkere Spaltungen und (Einkommens-)Ungleichheiten. Nicht zuletzt Internet und SocialMedia haben Erwartungswelten – nur einen Click entfernt – und schwindelerregenden Selbstverwirklichungsversprechen treibhausmäßig kultiviert, die allerdings nicht für alle erreichbar sind. Corona erweist sich hier als Frustrationskatalysator: die angeblich unbegrenzte Wahlfreiheit vor Augen, doch die Maske vor Mund und Nase.