Warum das Homeoffice NICHT die Zukunft der Arbeit ist

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Wollen wir eine neue Arbeitskultur, sollten wir, erstens, die Arbeiter und Angestellten stärker beteiligen. Mitarbeiter sind keine Ressourcen. Eine alternative “Zeit-Ökonomie“ würde, zweitens, die Karrierechancen von Frauen und Männern angleichen. Beides sind eindeutig wichtigere Trends als die Debatte ums Homeoffice, die vor allem das Controlling der Unternehmen erfreut.

Dabei gibt es für Homeoffice gute Argumente, nicht zuletzt ökologische: Acht Prozent der CO2-Emissionen werden weltweit durch Fahrten zur Arbeit erzeugt. Produktionsprozesse werden von Computern überwacht, die man auch von zuhause aus steuern kann. Und die Herstellung von Dingen spielt eine immer geringere Bedeutung: Heutzutage wird für die Herstellung notwendiger Güter nur noch etwa die Hälfte der Zeit benötigt, die im Jahr 1960 nötig war. Viele Maschinen müssen nur noch über den Rechner überwacht werden.

 

Längst haben Unternehmen bemerkt, dass sich mit Homeoffice Büromieten einsparen lassen. Und in den Netzwerken lassen sich die Mitarbeiter längst besser kontrollieren als im Büro.

 

Wirklich bahnbrechend wäre es, wenn Arbeiter und Angestellte zu Mitentscheidern würden und flexiblere Arbeitszeiten zu gleichen Karrierechancen für Frauen und Männer führen würden.

 

“Remote First” und “Work from anywhere”

Durch den Lockout kursieren auf US-amerikanischen Seiten bereits Listen von Unternehmen, die das Arbeiten von Zuhause fördern. Mittlerweile wird schon über unterschiedliche Grade des dezentralen Arbeitens von zuhause gesprochen: von „Temporarily Remote“ über „Remote-Friendly“ bis „Remote-First“. Dabei darf nicht unterschlagen werden, dass Unternehmen wie Netlify, die Dienstleistungen für den Bau von Internetplattformen anbieten, ohnehin nur knapp 100 Angestellte beschäftigen und schon immer im Remote-Modus arbeiteten. Auch Square, der US-Bezahldienst, an dem Twitter-Gründer Jack Dorsey beteiligt ist, stellt seinen Mitarbeitern den unbegrenzten Verbleib im Homeoffice in Aussicht. Otis, ein traditionsreicher Hersteller von Aufzügen und Rolltreppen, nennt es „work from anywhere“, beschäftigt 69.000 Menschen und bekennt sich zu Remote-First. Ebenso Shopify, ein kanadischer Anbieter für cloudbasierte e-Commerce-Lösungen und 5.000 Mitarbeitern; Shopify formuliert seine Remote-First-Strategie programmatisch: „As of today, Shopify is a digital by default company. We will keep our offices closed until 2021 so that we can rework them for this new reality. And after that, most will permanently work remotely. Office centricity is over."

 

Flexibilisierung muss endlich umgesetzt werden

Für das 20. Jahrhundert galt, wer Arbeit hat, hat keine Zeit hat und wer Zeit hat, hat keine Arbeit. Die Arbeitskultur der industriellen Ära (8-Stunden-Tag, Büro, Firma) hat uns immer noch nicht verlassen. Aber das Bedürfnis, Arbeit komplett neu zu bewerten, wächst: Gut eine Million Arbeitnehmer würden nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes gerne weniger arbeiten. Was uns als Binsenwahrheit allen locker über die Zunge geht, dass wir flexibilisiertere Arbeitsverhältnisse brauchen, wäre in der Tat die Grundvoraussetzung für eine neue Arbeitswelt. Denn in Deutschland gibt es zugleich auch 2,7 Millionen Beschäftigte, die gern mehr arbeiten würden, wenn man sie ließe.

 

Alles schön und gut. Aber Arbeit ist nach wie vor für die überwiegende Mehrzahl der Beschäftigten Maloche und Frondienst, im unteren Dienstleistungssegment immer häufiger Ausbeutung, die mit Begriffen wie Gig Economy bemäntelt wird.

 

Arbeitsplatzgarantie als zentraler Baustein für den Green New Deal

Mitte Mai, mitten in der Pandemie, meldeten sich 3.000 Wissenschaftler (unter ihnen der Wirtschaftswissenschaftler und Bestsellerautor Thomas Piketty) zu Wort und forderten weitaus Grundsätzlicheres: die „Demokratisierung und Dekommodifizierung“ der Arbeit. Ebenfalls von den Eindrücken der Corona-Krise geleitet, fordern die AutorenInnen in dem Aufruf annähernd gleiche Rechte und Einflussmöglichkeiten von Unternehmensmitarbeitern wie von Aktionären: „Fragen wie die Wahl des – oder auch der! – CEO, die Festlegung wichtiger Strategien und die Gewinnverteilung sind zu wichtig, um sie den Aktionären zu überlassen.“ Im Zentrum ihrer Forderungen stehen zwei Themen: 1. Existenzielle Bedürfnisse wie die Gesundheitsversorgung dürfen nicht durch Rentabilitätsüberlegungen gelenkt werden. 2. Die AutorInnen fordern eine Arbeitsplatzgarantie, wie sie in Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte formuliert ist. Und hier wird es interessant, denn es geht um die Dekommodifizierung von Arbeitskraft und was sich hinter einem zwielichtigen Begriff wie „Human Ressources“ verbirgt. 

 

Arbeitskraft als Ressource und abstrakte Ware ist genau das, was nicht die Zukunft der Arbeit prägen sollte. Vor Augen haben die AutorInnen hier vor allem die Frage, wie sich Maßnahmen und Joboffensiven gegen den Klimawandel definieren lassen und dabei gleichzeitig Ungleichheit (verstärkt durch Arbeitslosigkeit) bekämpfen lässt. Kommunen, die für ihre Einwohner Beschäftigung garantieren müssen, wären aufgefordert, vor Ort Jobs anzubieten, die sozialen (Pflege, Unterstützung) und ökologischen (Aufforstung, grüne Wirtschaft) Zielen dienen. Der Aufruf der Wissenschaftler ist von der Überzeugung geprägt, dass die Zukunft der Arbeit darin bestehen muss, einen verantwortungsvollen Übergang von der Umweltzerstörung zur Umweltsanierung und -erneuerung zu organisieren. Und dieser notwendige Wandel, so die AutorInnen, werde am ehesten von demokratisch geführten Unternehmen ausgehen, in den diejenigen, die ihre Arbeitskraft investieren die gleiche Stimmkraft haben wie diejenigen, die ihr Kapital investieren. 

 

Neue Zeit-Ökonomie als Katalysator für substanzielle Veränderungen

Erst in diesem Licht bekommt das Thema der „Zukunft unserer Arbeitswelten“ Ecken und Kanten. Von hier aus werden dann auch andere Maßnahmen sinnvoll und verknüpfen sich zu einem Zukunftsszenario humaner und sozialökologisch verantwortungsvoller Arbeit. Zum Beispiel die Idee der 4-Tage-Woche.

 

In Großbritannien sprechen sich zwei Drittel der Befragten zwischen 22 und 44 Jahren für eine 4-Tage-Woche aus, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten. Die Studie von ADP https://uk.adp.com/resources/adp-articles-and-insights/articles/w/workforce-view-2019.aspx (Bezahlschranke) wurde unter Befragung von 10.000 europäischen Arbeitnehmern erstellt. Die ADP-Studie sieht durch die Einführung der 4-Tage-Woche vor allem die Chance, mehr Diversität am Arbeitsplatz durchzusetzen. Konkret lässt sich durch eine 4-Tage-Woche die Vereinbarkeit von Kind und Karriere besser umsetzen, Väter und Mütter sind durch flexibilisierte Arbeitsverhältnisse an vier Tagen pro Woche besser in der Lage, die Betreuung der Kinder zu organisieren. Aus einem Henley-Report geht außerdem hervor, dass zwei Drittel der Personalverantwortlichen davon ausgehen, dass sie mit einer 4-Tage-Woche Spitzenkräfte erfolgreicher für das eigene Unternehmen begeistern können. 

 

Weniger Stunden, gleicher Lohn, mehr Produktivität

Eine emanzipative Maßnahme könnte auch die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit sein. Die norwegische Großmolkerei Tine hat das erfolgreich getan. Ihre mutige Entscheidung: „Wir wollen unser bisheriges Pensum beibehalten – aber anstatt in 40 wollen wir es in 30 Stunden erreichen! Und unsere Mitarbeiter bezahlen wir trotzdem genauso wie vorher!“ Tine setzt darauf, dass die Mitarbeiter ihre verkürzte Arbeitszeit durch einen Produktivitätszuwachs von 20 Prozent ausgleichen würden. Das Ergebnis: Die Produktivität bei Tine wuchs nicht nur um ein Fünftel, sondern um ganze 50 Prozent! Wer mit einem vereinbarten Zeitziel arbeitet (und nicht der bleiernen Zeit der 40-Stunden-Woche ausgesetzt ist), der ist – das bestätigen viele ähnliche Experimente – häufig deutlich produktiver. https://nicolafritze.de/die-vier-tage-woche/ 

 

Ein verlässlicher Zukunftsdenker wie Karl Marx wusste schon Mitte des 19.Jahrhunderts, dass sich im Kampf um die Zeit die Frage nach der Zukunft der Arbeit entscheidet. Zeitverwendung ist ein entscheidender Zukunftsfaktor. Nur durch Schritte zur Verkürzung der langen Arbeitszeiten wird es möglich, die Erwerbsarbeit in der Gesellschaft und die Sorge- und Hausarbeit zwischen den Geschlechtern gerecht zu verteilen. WissenschaftlerInnen plädieren deshalb schon seit einer Weile für die 32-Stunden-Woche. Sie sehen darin eine Chance, dass Frauen, die bislang in Teilzeitjobs feststecken, mehr arbeiten können Männer weniger – und die (unbezahlte) Fürsorgeaufgaben gerechter verteilt würden. 

 

Trendbriefing

• Homeoffice optimiert die Lebensqualität der Besserverdienenden, hilft Unternehmen, Geld zu sparen, verstellt aber den Blick auf grundsätzlichere Fragen.

• Arbeitsplatzgarantien und neu verhandelte Mitspracherechte sind Garanten für eine humanere Arbeitswelt.

• Ein flexibler Umgang mit Arbeitszeit adressiert gleichzeitig das Problem der unbezahlten Pflege-, Erziehungs- und Hausarbeit, die nach wie vor mehrheitlich von Frauen geleistet wird