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Die Energiewendewende der Konservativen

Was treibt die Konservativen an bei der Delegitimierung der Energiewende. Die Bewahrung (lat. conservare) der Schöpfung kann es ja nicht sein. Es geht um das Verhindern von Zukunftsmärkten und um ein biedermeierliches Weltbild.

Die Argumentationsstrategie der konservativen Wirtschaftsministerin Reiche und des konservativen Kanzlers ist an ein neues Vokabular geknüpft. Die Rede ist von „industrietauglich“ und „technikneutral“, von „realistischen Anpassungen“, „weniger Planwirtschaft und Kontrolle“ und  - natürlich - mehr Marktwirtschaft.

Angeblich, so das konservative Mantra, gelingt Klimaschutz nur, wenn er den Bürger:innen und der Wirtschaft „nicht zu viel abverlangt“.

Das ist eine interessante Formulierung mit tief konservativen Wurzeln: Zu viel Veränderung, schrieb 1940 der konservative Philosoph Arnold Gehlen, könne das Mängelwesen Mensch (Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, 1940) überfordern. Gehlens „negative Anthropologie“ attestiert Menschen (und der menschlichen Gesellschaft) aufgrund ihres defizitären Status’ wenig Hang zu Aufbruch und Veränderung. Die Veränderer, so das Weltbild der Konservativen, sind immer in der Beweislast. Und das ist der Zeitgeist, der momentan die Politik heimsucht. Das hat zur Folge, dass die Energiewende, das visionäre Fortschrittsprojekt, das den Planeten retten und eine gerechtere und dekarbonisierte Weltwirtschaftsordnung bis 2050 durchsetzen könnte, vor unseren Augen vom Konservatismus zerschlagen wird.

Was treibt die Konservativen an?

Angeblich setzt die neue Merz-Regierung mehr auf den CO2-Handel, elegante Anreizsysteme und Marktmechanismen statt auf starre staatliche Vorgaben. Doch das ist eine lahmer PR-Stunt. Sie tun damit im Grunde nichts anderes als Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck. Mit der skurrilen Forderung nach 20, 30 oder gar 50 neuen Gaskraftwerken und dem Wiederhochfahren abgeschalteter Atomanlagen bediente Merz Anfang 2025 den konservativen Boulevard. Komplett irrsinnige Vorhaben, die selbst in der CDU niemand ernstnimmt - Fake News, die als Wahlkampffutter dienten.

Entschlossen sind Katherina Reiche und Friedrich Merz nur bei der Relativierung von Maßnahmen. Die Aufweichung des Gebäudeenergiegesetzes (geplant waren 65% der Heizungen erneuerbar) wird dabei ebenfalls mit neu-konservativen Euphemismen orchestriert: Die Merz-Regierung wolle sich mehr auf die „erreichbare CO₂-Vermeidung“ konzentrieren, aber weiterhin den Heizungsaustausch fördern. Ein entsprechendes neues Gebäudeenergiegesetz – ohne Betriebsverbote zum Beispiel für alte Gasthermen, die vor 1991 eingebaut wurden, – soll noch in diesem Jahr ins Kabinett kommen, hieß es kurz nach Regierungsantritt.

Konservative: Von Marktorientierung sprechen – und dann auf Zeit spielen

Es bleibt bei diesem Fortschritts-Dilemma: Klimaschutz zeitigt sichtbare Erfolge nicht innerhalb einer Legislaturperiode, jedoch fallen politische Kosten wie höhere Energiepreise und Umstellungsmühen sofort an. Natürlich ist es dann auch clever, in den Medien von „Anpassungen“ von unpopulären Maßnahmen zu sprechen und geplante Vorhaben zumindest um ein paar Jahre in Richtung der nächsten Wahlperiode zu verschieben. Das beruhigt vorübergehend die transformationswunde Volksseele (treibt aber nicht eine Wählerin oder einen Wähler von der AfD weg).

Absurd wird es, wenn in konservativen Kreisen von mehr Marktorientierung gesprochen wird. Das Vorgehen der Ampel - bevor die FDP zur innerkoalitionären Opposition aufstieg - war genauso marktorientiert, wie es sich auch die schwarz-rote Regierung vorgenommen hat. Dass sich damit - für konservative Wähler:innen - essenzielle Werte wie wirtschaftliche Stabilität und Kostensicherheit garantieren ließen, ist unzutreffend. Ohne Anschubfinanzierung hat noch keine Zukunftstechnologie unser Leben wirklich besser gemacht.

Der CO2-Preis ist kein Allheilmittel

Der konservative Zeitgeist ist ein Destillat aus politischem Kalkül, wirtschaftlicher Lobby-Hörigkeit und gesellschaftlichem Druck (Populismus). Was wir als Progressive in den vergangenen rund fünf Jahren - da zähle ich unsere Arbeit ausdrücklich hinzu!- nicht verstanden haben, ist, die reaktionären (Energie-)Netzwerke zum Verstummen zu bringen. Energieversorger, Autoindustrie und Landwirtschaft haben ganze Arbeit geleistet. Deswegen bekamen wir Friedrich Merz, den Kanzler der Restauration und des industriepolitischen Biedermeier.

Von der AfD vor sich hergetrieben, suchen die Unions-Konservativen Zuflucht bei Fetischen wie dem CO2-Preis. Ein gewagtes Spiel. Schon in diesem Jahr stieg die Abgabe auf fossile Brennstoffe um 20 Prozent, was vor allem das Heizen deutlich teurer macht. Auch Friedrich Merz weiß, dass ein chiquer CO2-Preis allein für den Klimaschutz nicht ausreicht. Ohne Anschubförderung bei Wärme und Mobilität könnten spätestens in zwei oder drei Jahren soziale Härten bei Menschen entstehen, die ihre Heizungsanlagen oder den Wagen nicht sofort auf neue Technologien umstellen können. Ist das Marktwirtschaft? Nun ja. Dagegen erscheinen Förderprogramme, öffentliche Investitionen in Klimaschutz und die Entlastung der Bürger durch ein Klimageld als marktwirtschaftlich absolut sinnvoll.

Kluge Förderprogramme senken die Zugangshürden bei den Bürger:innen, schaffen gesellschaftliche Akzeptanz für neue Technologie, steigern das Vertrauen der Investoren und bringen einen Zukunftsmarkt ans Laufen, der viele neue Jobs schaffen und der deutschen Industrie nach drei Jahren Rezession Zuversicht geben würde.

Bevor Erneuerbare die Macht übernehmen unterstützt Trump lieber China

Offenbar haben die Konservativen wenig Interesse an marktwirtschaftlichem Denken. Trump dient hier als Rolemodel. Gerade hat er wieder einmal  Maßnahmen verabschiedet, die ein aggressives und marktwirtschaftlich widersinniges Vorgehen gegen Wind- und Solarenergie ankündigen. Im vergangenen Jahr deckten Wind und Solar 16 Prozent des landesweiten Strombedarfs in den USA ab und waren die am schnellsten wachsenden Energiequellen. In republikanisch geführten Bundesstaaten wie Iowa, Oklahoma und Texas ist Windenergie längst eine wichtige Stromquelle und Bestandteil des Jobwachstums.

Aber genau deswegen geht Trump gegen sie vor, denn die Erneuerbaren sind längst dabei, die Fossilen aus dem Markt zu drängen. Trumps Administration unterstützt die Interessen der „alten Energien“, es ist bis auf einzelne Anlagen rückverfolgbar, dass die Trump-Regierung einzelne Unternehmen aus den fossilen Industrien schützen und am Leben erhalten möchte. Dafür - vorläufiger Höhepunkt korrupter und zukunftsblinder Politik - subventioniert die US-Regierung aktuell unter anderem die Verschiffung amerikanischer Hüttenkohle nach China (2024 11,6 Millionen Tonnen), damit dort - beim Todfeind - billiger und schmutziger Stahl hergestellt werden kann, den China dann auf den Weltmärkten abladen und damit die amerikanischen Stahlproduzenten unterbieten kann. Politik dient den Privatinteressen der alten Welt, kein Marktvertrauen, nirgends. Vergesst die Mär von der Reindustrialisierung der USA, vergesst geostrategische Erwägungen: Autokraten helfen Autokraten. Der Planet wird in die Tonne getreten.

Gegen die AfD mit den Steinzeit-Konzepten der AfD

Ich möchte hier nicht die korrupte und für den internationalen Klimaschutz verhängnisvolle Energiepolitik Trumps mit der Wirtschaftspolitik der Merz-Regierung gleichsetzen. Unübersehbar ist aber, dass viele der Konservativen diesseits und jenseits des Atlantiks an einer Energiewendewende arbeiten. Und das nicht mit dem Ziel, besser zu sein als die Progressiven oder dem Erhalt der Lebensgrundlagen auf der Erde zu dienen (ein durchaus konservatives Anliegen). Es geht darum, die konservative Lobby-Klientel (Energie, Automobilität, Landwirtschaft) wie seit Jahrzehnten zu bedienen. Reaktionär ist es, das mit der Wahlkampfbinse zu bemänteln, wonach man keinesfalls die Wähler:innen verunsichern dürfe, sonst würden noch mehr zur AfD überlaufen.

Ende des Sommers 2025 stehen wir vor der Situation, dass wir das Zukunftsprojekt Energiewende zugunsten eines postapokalyptischen Biedermeier aufgeben: Not in my backyard, Vorhänge vor, Netflix an. Es wird schon nicht so schlimm. Die AfD wird auf absehbare Zeit nicht in Deutschland regieren. Davor schützt uns einstweilen eine energie-reaktionäre Bundesregierung – mit von der AfD abgekupferten energiepolitischen Konzepten aus der Steinzeit. Keine Pointe.

5. Trends und Tendenzen 

  1. Merz versprüht nicht gerade Aufbruchstimmung: Die neue schwarz-rote Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz ist in dieser Woche 100 Tage im Amt. Das Markt- und Sozialforschungsinstitut Ipsos hat gefragt, wie zuversichtlich die Deutschen nach den ersten 100 Tagen die Zukunft sehen. Lediglich 23 Prozent der Bundesbürger sind optimistisch, dass Bundeskanzler Merz die richtigen Weichen für die Zukunft stellt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung (53 %) äußert sich pessimistisch, etwa jeder Fünfte (21 %) ist unentschieden.
  2. Chinas führt Batterieaustausch für e-Schiffe ein: Batterietausch für Elektrofahrzeuge ist eine Technologie, die immer beliebter wird. Statt an einer Ladesäule zu warten, tauscht man innerhalb weniger Minuten eine leere gegen eine volle Batterie aus. Eine von der Agentur Jato zitierte Schätzung geht davon aus, dass die Zahl der automobilen Tauschstationen in der Volksrepublik von 3.500 im Jahr 2023 auf 16.000 bis zum Ende dieses Jahres wachsen wird. Nun weitet sich dieses Konzept auf E-Schiffe aus.
  3. Wirtschaftsministerin Reiche würgt die Energiewende ab: Die Solarmodulpreise fallen seit Jahren. Es kann billiger sein, einen Zaun aus Solarmodulen zu bauen anstatt aus Holz. Gleichzeitig produziert Deutschland so viel Sonnenstrom, dass es immer mehr Stunden erlebt, in denen Strom an der Börse zu negativen Preisen gehandelt wird. Reiche hat die Wahl hat, die Energiewende zu vertiefen oder sie aufzuhalten. Sie entscheidet sich gegen die Energiewende. Reiches Vorschläge haben eine einfache Folge: Der Solarausbau würde mit Ansage einbrechen.
  4. Wenn der KI-Doktor hallunziniert: Mit Chat-GPT 5 positioniert sich Open AI ausdrücklich als KI-Doktor und Gesundheitsdienstleister (Video). Problematisch: So wie Open AI als diagnosesicherer Online-Arzt auftritt, entsteht bei unkundigen Menschen der Eindruck, man könne dem Rat der KI folgen, ohne einen Arzt zu konsultieren. Ein Fall, bei dem ein Patient nach KI-Konsultation die Nutzung von Salz durch Bromid ersetzt hatte, führte zu einer lebensgefährlichen Brom-Vergiftung. Bislang gibt es keine Schadensersatzansprüche gegenüber "KI-Ärzten".
  5. Gadgets: Kopfhörer, die Ihre Gehirnströme scannen und uns konzentriert halten: Die Kopfhörer des Start-ups Neurable sind mit einer Gehirn-Computer-Schnittstelle ausgestattet, die elektrische Signale des Gehirns aufnehmen und diese Daten mithilfe von Algorithmen interpretieren. Sinkt unsere Konzentration, erkennen die Kopfhörer das, und eine App fordert uns auf, eine Pause einzulegen. Die Technologie liest nicht wirklich unsere Gedanken. Sie erkennt jedoch, wenn wir uns unterhalten oder abgelenkt sind, und könnte eines Tages Symptome einer Depression oder frühe Anzeichen von Alzheimer erkennen.